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Lincolns Träume

Lincolns Träume

Titel: Lincolns Träume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Connie Willis
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glättete sie und tätschelte der Stute die Stirn. »Die Ägypter haben oft von Booten geträumt. Symbol der Überfahrt zum Land der Toten.«
    Wir überließen den Arzt dem Geheimnis des wehen Fußes und fuhren zum Gasthof zurück. Unterwegs hielten wir an, um bei McDonalds zu Mittag zu essen, und nachdem wir wieder im Gasthof angelangt waren, machte Annie ein Schläfchen.
    Ich rief den Anrufbeantworter an. Eine Unmenge von Leuten hatte angerufen, die noch nicht wußten, daß Broun verreist war, außerdem hatte Richard eine neue Nachricht auf dem Apparat hinterlassen.
    »Ich habe mir das Ergebnis von Annies Bluttest angesehen, und ich glaube, ich habe jetzt den Schlüssel zu den Vorgängen gefunden«, sagte er mit seiner Onkel-Doktor-Stimme. »Ihr L-Tryptophan-Spiegel läßt auf Kryptomnesie schließen.« Er wartete lange genug, damit ich mich fragen konnte, was Kryptomnesie war. »Sie tritt dann auf, wenn der Patient frühe Erinnerungen als wirklich ausgibt, etwas, das der Patient gesehen oder in einem Buch gelesen und aus seinem Bewußtsein gelöscht hat. Das Unterbewußtsein stellt dieses Material als Wirklichkeit wieder her. Bridey Murphy. Ihre Erinnerungen an ein früheres Leben in Irland waren Geschichten, die ihr Kindermädchen ihr erzählt hatte, als sie noch nicht sprechen konnte, und unter Hypnose präsentierte sie sie dann als früheres Leben.«
    »Annie wurde nicht hypnotisiert«, sagte ich. »Sie wurde medikamentiert.«
    »Offenbar hatte sie in frühestem Kindesalter mit jemandem Kontakt, der ihr Geschichten über den Bürgerkrieg erzählt hat, aber es besteht auch die Möglichkeit, daß sie erst in letzter Zeit Romane über den Bürgerkrieg gelesen hat. Vielleicht hat sie eins von Brouns Büchern gelesen. Das würde ihre gegenwärtige neurotische Bindung an dich erklären. Sie durchläuft einen schizophrenen Auflösungsprozeß, und du repräsentierst für sie Broun.«
    Jetzt war es also Kryptomnesie, und ich repräsentierte Broun. Am Morgen war es noch eine Rachephantasie gewesen, und Broun hatte Annies Träume repräsentiert. Und zuvor war es eine psychotische Krise und ein halbbegrabenes Trauma und ein Mord im Obstgarten mit einer Schreckschußpistole gewesen, und wer wollte sagen, was es sein würde, wenn Richard das nächste Mal anrief, und in all diesen Anrufen kein einziges Wort über das Thorazin, das er ihr gegeben hatte.
    Glaubte der Knallkopf tatsächlich, mich mit all diesem psychiatrischen Gefasel dazu überreden zu können, Annie zurückzubringen? Vielleicht war er derjenige, der bescheuert war, und sein ganzes Gequatsche über Annies unterdrückte Schuldgefühle und meine Obsession und Lincolns drohenden Nervenzusammenbruch war nichts als – wie lautete der richtige psychiatrische Ausdruck? – eine Projektion.
    Ich rief Broun unter der Nummer an, die er mir vor seinem Abflug nach Kalifornien gegeben hatte. »Wie geht’s denn so?« fragte ich. »Haben Sie Ihren Traumexperten zu sehen bekommen?«
    »Er sagte mir, Zeit und Raum seien nicht wirklich, sie existierten nur in den bewußten Regionen unseres Gehirns. Im Unterbewußtsein gäbe es so etwas wie ein Raum-Zeit-Kontinuum nicht. Er behauptete, alles, was jemals geschehen ist oder noch geschehen wird, wäre schon in unserem Unterbewußtsein enthalten, und in den Träumen zeigte es sich.« Er sprach so, wie er immer sprach, als hätten wir uns niemals wegen Kalifornien gestritten. »Außerdem meint er, die meisten Menschen müßten auf Träume warten, die ihnen sagen, was geschehen wird, aber er könnte mir die Zukunft sofort vorhersagen, indem er mich einfach einschlafen ließe und meine Augenbewegungen beobachtete.«
    »Und was meinten Sie dazu?«
    »Ich sagte, ich hätte bereits geträumt, ich sollte mein Geld nicht falschen Wahrsagern geben, und da es nun schon einmal passiert sei, könnte ich auch nichts mehr daran ändern.«
    »Und was hat er gesagt?«
    »Ich habe seine Antwort nicht mehr abgewartet. Ich wünschte, ich könnte träumen, was geschehen wird. Dann käme ich nicht in die Verlegenheit, mir solche Ammenmärchen anhören zu müssen. Wo bist du, zu Hause?«
    »Nein«, sagte ich. »Ich bin in Fredericksburg. Das Telefon hat gestern den ganzen Tag geklingelt, und ich habe mir gesagt, so komme ich zu überhaupt nichts, und da bin ich hierher gefahren. Ich denke, ich werde wohl eine Weile bleiben. Zumindest so lange, bis McLaws und Herndon herausgefunden haben, wo ich stecke. Es gibt hier keinen Schnee.«
    »Ich werde keiner

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