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Lincolns Träume

Lincolns Träume

Titel: Lincolns Träume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Connie Willis
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ich ging in mein Zimmer zurück, nahm eine Decke und trug sie in Annies Zimmer hinüber, damit ich die Nacht im grünen Sessel verbringen konnte.
    Die Ärzte hatten Jackson eine rasche Genesung vorhergesagt, doch er bekam eine Lungenentzündung und starb neun Tage später. Dem Ende zu delirierte er die meiste Zeit. »Befehlen Sie A. P. Hill, er soll sich fertigmachen!« sagte Jackson einmal. Lee hatte ebenfalls nach Hill gerufen, als er sieben Jahre später nach einem Herzanfall im Sterben lag. »Sagen Sie Hill, er muß herkommen!« hatte er vernehmlich gesagt. Ich fragte mich, ob sie von derselben Schlacht geträumt hatten und welche es war, und ob Annie ebenfalls von ihr würde träumen müssen.
    Um fünf gab ich es auf, schlafen zu wollen, ging in mein Zimmer und las Fahnen, wobei ich die Tür offenstehen ließ, für den Fall, daß Annie wieder aufwachte. Ben und Malachi verbrachten den restlichen Morgen und den größten Teil des Kapitels damit, ihr Regiment wiederzufinden, und Robert E. Lee fand seinen Sohn Rob. Er stand auf einer kleinen Erhebung neben der Straße, als Robs Artillerie mit der einzigen Kanone vorbeikam, die ihnen geblieben war. Alle waren sie verdreckt und erschöpft, und Rob blieb vor seinem Vater stehen und sagte: »General, schicken Sie uns wieder aufs Feld?«
    Robert E. Lee trug seinen Arm in einer Schlinge. Ein Kurier hielt Traveller für ihn, weil Lees Hände zu geschwollen waren, als daß er die Zügel hätte festhalten können, und überall im Umkreis brannten die Felder und die Wälder, und der Antietam Creek war rostrot gefärbt.
    »Ja, mein Sohn«, sagte Lee. »Ihr alle müßt tun, was ihr könnt, um diese Leute zurückzuschlagen.« Er befahl ihnen, die besten Pferde zu nehmen, und schickte sie wieder in die Schlacht.
    Ich hatte den Freeman auf Annies Bett liegenlassen. Ich ging hinüber, um ihn zu holen. Sie schlief auf dem Bauch, eine Hand unter dem Kopf, die andere quer über das Buch ausgestreckt. Ich zog das Buch vorsichtig unter ihm hervor, und dann blieb ich dort sitzen, als könnte meine Gegenwart sie irgendwie vor den Träumen schützen.
    Sie hatte mir das Versprechen abgenommen, daß ich ihr dabei helfen würde, die Träume zu träumen. Nun, ich versuchte es jedenfalls. Sie hatte schon mehr Träume gehabt, seit sie mich getroffen hatte, als sie jemals bei Richard gehabt hatte, mit oder ohne Medikamente, und es sah so aus, als gäbe es nichts, was ich tun könnte, während sie sie träumte. Ich konnte sie nicht einmal aufwecken.
    Hier herumzusitzen bedeutete auch keine Hilfe für sie. Ich mußte wach und auf dem Posten sein, wenn sie ihren nächsten Traum hatte, und ich hatte nicht mehr richtig geschlafen, seit wir in Fredericksburg angekommen waren. Trotzdem wollte ich nicht aufstehen und mich ins Bett legen. Ich weiß nicht, was ich wollte. Vielleicht, daß Annie aufwachte, ihre blaugrauen Augen öffnete und mich ansah. Keinen Rauch und keine Pferde und gefallene Jungen, sondern mich. Daß sie mich ansah und lächelte und schläfrig sagte: »Du mußt nicht hier bei mir sitzen bleiben«, damit ich sagen konnte: »Ich will es aber.« Und was wollte ich sie darauf antworten hören? »Ich bin froh, daß du da bist. Wenn du da bist, habe ich keine Träume.«
    Annie murmelte etwas und bewegte den Kopf ein ganz klein wenig auf dem Kissen. Es waren keine Tränenspuren mehr übrig, nur ihre Nase war noch etwas gerötet. Ihr Haar war auf der Wange festgeklebt, als die Tränen getrocknet waren, und ich strich es ihr nach hinten aus dem Gesicht. Ihr Wange fühlte sich warm an. Ich legte meine Hand darauf.
    Sie runzelte die Stirn, als störte es sie. Ich nahm meine Hand weg. Ihr Gesicht entspannte sich augenblicklich. Sie seufzte und drehte sich auf die Seite, wobei sie die Knie anzog, eine Geste des Rückzugs in sich selbst. Ihr Atem beruhigte sich.
    Ich stand auf, vorsichtig, damit ich sie nicht weckte, nahm den Freeman mit ins andere Zimmer und schlug unter Lees Schlaflosigkeit nach. Er hatte während des ganzen Krieges Probleme mit dem Schlafen gehabt. »Ich fürchte, ich werde nicht schlafen, vor lauter Gedanken an die armen Männer«, hatte er eine Woche nach Antietam an seine Frau geschrieben. Falls er es je schaffte, vor Mitternacht einzuschlafen, hatten seine Adjutanten strikte Anweisung, ihn nur im äußersten Fall aufzuwecken. Er hatte ihnen gesagt, für ihn bedeute eine Stunde Schlaf vor Mitternacht so viel wie zwei Stunden danach.
    Mit dem Band Freeman auf meiner Brust

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