Linda, H: Winterherzen: Für morgen, für immer
ein erstaunlich angenehmer Begleiter. Er hatte sich wie ein perfekter Gentleman verhalten. Da er jederzeit Sex haben konnte, wie er gesagt hatte, bot sie vermutlich eine willkommene Abwechslung für ihn.
Während der Tänze war ihr aufgefallen, dass andere Frauen ihn mit den Blicken verfolgt hatten. Einige hatten ihn mit unverhohlenem Interesse und sogar Verlangen angestarrt, und selbst diejenigen, die ihre eigenen Begleiter nie verlassen würden, hatten sich nicht zurückhalten können, ihn hin und wieder anzusehen. Er zog die Blicke an wie ein Magnet, selbst ihre eigenen.
Als Claire im Bett lag, angenehm müde und entspannt, tauchte im Geiste sein Gesicht vor ihr auf. Wie in einem endlosen Film sah sie seine wechselnde Mimik vor sich – von Zorn zu Belustigung und jede Nuance dazwischen. Seine Augen wirkten grün, wenn er zornig war, blau, wenn er nachdenklich war, und leuchtend türkis, wenn er lachte.
Ihre Wange prickelte, wo er sie geküsst hatte, und schläfrig legte sie die Finger auf die Stelle. Ein Anflug von Neugier und Bedauern stieg in ihr auf. Wie hätte es sich wohl angefühlt, wenn Max sie leidenschaftlich auf den Mund geküsst hätte? Ihr Herz schlug höherbei diesem Gedanken, und ihre Lippen öffneten sich unbewusst.
Unruhig drehte Claire sich auf die Seite und verdrängte entschieden diesen Gedanken. Sie hatte die Leidenschaft aus ihrem Leben verbannt. Leidenschaft war gefährlich, verwandelte vernünftige Menschen plötzlich in unvernünftige Besessene. Leidenschaft bedeutete den Verlust von Beherrschung, und das führte zu entsetzlicher Verwundbarkeit. Sie musste sich eingestehen, dass sie sich manchmal einsam fühlte, aber Einsamkeit war besser als der niederschmetternde Schmerz, den sie schon einmal erlitten und beinahe nicht überwunden hatte.
Sie hatte Angst. Während sie in der Dunkelheit lag, gestand sie es sich ein. Ihr fehlte das Selbstbewusstsein, mit dem Martine sich dem Morgen stellte. Claire hatte Angst, jemanden zu nahe an sich heranzulassen, weil sie vielleicht dessen Erwartungen nicht erfüllte und zurückgewiesen wurde.
Eine Freundschaft war ihr lieber als eine Liebschaft. Eine Freundschaft war nicht so gefährlich. Denn es fehlte die Vertrautheit, die Liebenden das untrügliche Wissen verlieh, wie man dem anderen am meisten wehtun konnte, wenn die Beziehung schiefging.
Und außerdem wollte Max nichts anderes als Freundschaft. Wenn sie sich ihm an den Hals warf, wandte er sich vermutlich angewidert von ihr ab. Er wollte keine Leidenschaft, und sie fürchtete sich davor. Und deshalb waren Tagträume – oder nächtliche Fantasien – im Grunde wirklich nur reine Zeitverschwendung.
3. KAPITEL
E rst als Max am folgenden Morgen anrief, wurde Claire sich bewusst, wie sehr sie sich auf ein Wiedersehen freute. Ihr Herz schlug ein wenig höher, und sie schloss einen flüchtigen Augenblick lang die Augen, während sie seiner tiefen Stimme lauschte, deren ausgeprägter englischer Oberschicht-Akzent so angenehm in ihren Ohren klang.
„Guten Morgen, Claire. Mir ist eingefallen, dass wir gar nicht besprochen haben, wann ich dich heute abholen soll. Wann passt es dir am besten?“
„So gegen zwölf, würde ich sagen. Hast du etwas Interessantes in der Zeitung gefunden?“
„Ich habe drei oder vier Annoncen angekreuzt. Also dann, bis um zwölf.“
Es beunruhigte Claire, dass allein der Klang seiner Stimme sie berührte. Sie wollte Max nicht vermissen, wenn er nicht da war, wollte sich nicht auf ein Wiedersehen mit ihm freuen.
Doch als sie sich zurechtmachte, verwandte sie wieder mehr Sorgfalt auf ihr Haar und Make-up als gewöhnlich. Sie wollte gut für ihn aussehen, und diese Erkenntnis gab ihr einen kleinen Stich. Sie erinnerte sich an andere Male, als sie ängstlich in den Spiegel geblickt und sich gefragt hatte, ob die Halseys wohl mit ihr einverstanden waren, ob Jeff sie wohl wieder mit Verlangen in den Augen anblickte.
Damals hatte sie versucht, eine scheiternde Ehe zu retten. Doch nun beabsichtigte sie lediglich, einem Freund bei der Wohnungssuche zu helfen. Und wenn Max ihr Herz höherschlagen ließ, dann musste sie es ignorieren und es ihn niemals spüren lassen.
Doch es fiel ihr schwer, ihn nicht mehr als freundschaftlich zu empfangen, als sie ihm die Tür öffnete. Sie hatte ihn in einem weißen Dinnerjackett und in einem konservativen grauen Anzug gesehen und geglaubt, er könne in nichts besser aussehen. Doch lässig gekleidet wirkte er noch atemberaubender. Seine
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