Linda, H: Winterherzen: Für morgen, für immer
voraussetzte, dass sie alles stehen und liegen ließ und sofort losfuhr. „Mom, ich wollte gerade etwas kochen …“
„Dann habe ich dich ja noch rechtzeitig erwischt. Martine und Steve sind schon hier. Ich habe schon ein paarmal versucht, dich zu erreichen, aber du warst nicht da.“
Claire holte tief Luft. „Ich habe Besuch“, verkündete sie widerstrebend. „Ich kann nicht einfach …“
„Besuch? Jemanden, den ich kenne?“
„Nein. Ich habe ihn zum Dinner eingeladen und …“
„Wen?“ unterbrach Alma mit mütterlicher Neugier.
„Einen Freund“, erklärte Claire und hoffte vergeblich, weiteren Fragen aus dem Weg zu gehen. Sie blickte auf und sah, dass Max sie mit funkelnden Augen angrinste. Er bedeutete ihr, dass er etwas zu sagen hatte, und sie unterbrach Almas Flut von Fragen. „Warte einen Augenblick, Mom. Ich bin gleich wieder da.“ Sie bedeckte die Sprechmuschel mit einer Hand und erklärte Max: „Meine Cousins aus Michigan sind gekommen. Sie bleiben nur über Nacht, unddeshalb will meine Mutter ein Familienessen veranstalten …“
„Und du hast mich schon zum Essen eingeladen.“ Max trat zu ihr. „Ich weiß eine perfekte Lösung.“ Er nahm ihr den Hörer aus der Hand und sagte in die Muschel: „Mrs. Westbrook, mein Name ist Maxwell Benedict. Darf ich eine Lösung vorschlagen und mich selbst zu Ihrem Essen einladen, wenn es keine allzu große Zumutung für Sie bedeutet? Claire möchte ihren Cousin wirklich gern sehen, nur hat sie mich am Hals. Sie ist zu wohlerzogen, um ihre Einladung zurückzunehmen, und ich bin zu hungrig, um mich höflich zu verhalten und mich zurückzuziehen.“
Claire schloss die Augen. Sie brauchte den anderen Teil des Gesprächs nicht zu hören, um zu wissen, dass Alma beim Klang seiner tiefen sanften Stimme mit dem faszinierenden englischen Akzent förmlich dahinschmolz. Einerseits war sie belustigt, andererseits geriet sie in Panik bei der Vorstellung, Max ihrer Familie vorzustellen. Sämtliche Mitglieder wirkten auf irgendeine Art hervorstechend, und sie neigte dazu, in den Hintergrund zu geraten, überschattet von den anderen übersprudelnden Persönlichkeiten. Max hielt sie bisher nur für still. Doch wenn er sie im Kreise ihrer Familie erlebte, musste er erkennen, dass sie eher wie eine graue Maus wirkte. Sie wusste, dass etwas in ihr sterben würde, wenn er sie mit Martine verglich und sich dabei fragte, was mit ihren Genen wohl schiefgelaufen wäre.
„Danke, dass Sie sich meiner erbarmen“, sagte er in den Hörer. „Wir kommen so schnell wie möglich.“ Er legte auf, und als Claire die Augen öffnete, musterte er sie forschend, so als wunderte er sich über ihr Widerstreben, an diesem Familientreffen teilzunehmen. „Schau nicht so verängstigt drein“, riet er und blinzelte ihr zu. „Ich habe zwar nicht gerade meinen Sonntagsstaat an, aber ich werde mich vorzüglich benehmen.“
Noch immer lag eine Spur von Panik in ihrem Blick. „Es geht nicht um dich“, gestand sie ein. „Familientreffen überwältigen mich immer ein bisschen. Unter so vielen Leuten fühle ich mich nicht besonders wohl.“ Das ist eine gewaltige Untertreibung, dachte sie und wappnete sich für die trostlosen Stunden, die ihr bevorstanden.„Entschuldige mich einen Augenblick, während ich mich umziehe und …“
„Nein.“ Max ergriff ihre Hand und hielt sie zurück. „Du siehst hübsch genug aus, wie du bist. Du brauchst dich weder umzuziehen noch zu kämmen noch den Lippenstift zu erneuern. Ein Hinauszögern macht dich nur noch nervöser.“
Nachdenklich musterte er sie und wunderte sich über den plötzlichen Drang, sie zu beschützen. Etwas an ihr erweckte in ihm das Verlangen, sie in die Arme zu schließen und alles Beschwerliche und Schmerzliche von ihr abzuwenden.
Die Tatsache, dass er nicht völlig ehrlich ihr gegenüber war, bedrückte ihn. Was würde geschehen, wenn sie herausfände, wer er in Wirklichkeit war? Würde sie sich völlig zurückziehen? Würden ihre Augen kalt und abweisend blicken? Ein Schauer lief über seinen Rücken. Er durfte es nicht geschehen lassen. Irgendwie musste er einen Weg finden, die Firmenübernahme zu organisieren, ohne Claire zu befremden.
Ihr Unbehagen wuchs unter seinem forschenden Blick. Er sah zu viel, durchschaute sie zu sehr, und diese Erkenntnis erschreckte sie. Instinktiv zog sie sich hinter eine Mauer der stillen Höflichkeit zurück.
Max hielt noch immer ihre Hand, in einem beruhigenden Griff, als sie zurück
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