Linda, H: Winterherzen: Für morgen, für immer
nahm.
Er stützte einen Arm auf das Dach und beugte sich zur Tür hinab. Seine türkisfarbenen Augen wirkten so dunkel wie das Meer. „Ich rufe Sie morgen an, Claire“, verkündete er ungerührt.
„Mr. Benedict, ich habe versucht, nicht unhöflich zu sein, aber ich bin nicht interessiert.“
„Ich bin bei den Behörden ordnungsgemäß gemeldet, und ich bin einigermaßen gut erzogen“, entgegnete er. Um seine Mundwinkel zuckte es belustigt, und unwillkürlich starrte sie beinahe fasziniert auf seine verführerischen Lippen. „Ich werde nicht von der Polizei gesucht, ich war nie verheiratet, und ich bin nett zu Kindern. Brauchen Sie Referenzen?“
Sie musste einfach lachen. „Ist Ihr Stammbaum eindrucksvoll?“
Er hockte in der offenen Wagentür und lächelte. „Makellos. Wollen wir morgen Abend beim Essen darüber reden?“
Claire überlegte einen langen Augenblick. Schon seit einiger Zeit fühlte sie sich einsam. Und was konnte es schaden, mit Maxwell Benedict essen zu gehen? Sie würde sich ganz bestimmt nicht in ihn verlieben, doch sie konnten sich unterhalten und lachen, ein gutes Mahl genießen und vielleicht Freundschaft schließen. Und daher gab sie nach. „Also gut“, sagte sie und seufzte.
Er lachte herzhaft, und seine Zähne leuchteten weiß in der Dunkelheit. „Welche Begeisterung! Ich verspreche Ihnen, dass ich mich gut benehmen werde. Wo soll ich Sie abholen? Und wann?“
Sie einigten sich auf einen Zeitpunkt, und Claire nannte ihm ihre Adresse. Einen Augenblick später fuhr sie davon.
Als sie an der ersten Ampel anhielt, runzelte sie bestürzt die Stirn. Warum hatte sie sich mit Maxwell Benedict verabredet? Sie hatte sich geschworen, seinen Typ wie die Pest zu meiden, und dennoch war es ihm gelungen, ihren Widerstand zu brechen und sie zum Lachen zu bringen. Er schien sich selbst nicht allzu ernst zu nehmen, und er war ihr sehr freundlich zu Hilfe gekommen. Sie musste sich eingestehen, dass sie ihn mochte. Er war viel zu gefährlich für ihren Seelenfrieden …
Während der restlichen Fahrt nach Hause beschloss Claire, die Verabredung abzusagen. Doch als sie ihre Wohnung betrat und die Tür hinter sich schloss, fühlte sie sich überwältigt von der leeren Stille der Räume. Sie hatte sich geweigert, sich ein Haustier anzuschaffen, weil es ihr wie die Krönung ihrer Einsamkeit erschienenwar. Doch nun wünschte sie, ein Tier zu besitzen, das sie zu Hause willkommen hieß. Ein Hund oder eine Katze würden nicht mehr erwarten als einen vollen Bauch, ein warmes Plätzchen zum Schlafen und ab und an ein paar Streicheleinheiten.
Wenn sie es sich recht überlegte, brauchte auch ein Mensch nicht mehr. Nahrung. Unterkunft. Zuneigung. An Nahrung und Unterkunft hatte es ihr nie gemangelt. Während ihrer Kindheit waren ihr all die materiellen Werte der oberen Mittelklasse zuteil geworden. Sogar mit Zuneigung war sie bedacht worden, aber es hatte sich nur um die geistesabwesenden Krumen der aufopfernden Liebe gehandelt, die ihre Eltern Martine entgegenbrachten.
Claire konnte es ihnen nicht einmal verdenken. Martine war in jeder Hinsicht vollkommen. Andere Geschwister hätten sich vielleicht einer schüchternen, ungeschickten jüngeren Schwester gegenüber aufgespielt. Aber Martine hatte sich stets nett und geduldig gegenüber Claire verhalten und kümmerte sich auch jetzt noch um sie. Wie sehr ihre blühende Anwaltspraxis, ihre aufgeweckten Kinder und ihr Ehemann sie auch in Atem hielten, sie fand immer Zeit, Claire mindestens zweimal pro Woche anzurufen.
Dennoch hatte es Claire stets geschmerzt, dass ihre Eltern Martine so offensichtlich den Vorzug gaben. Sie erinnerte sich deutlich, wie sie als Kind in den Spiegel gestarrt und sich gefragt hatte, was mit ihr nicht stimmte. Hätte sie ein hässliches Äußeres oder ein ungezogenes Wesen besessen, dann hätte sie verstehen können, warum sie ihren Eltern nicht gut genug war. Aber sie war ein recht hübsches Kind und bemühte sich stets so sehr, jeden zufriedenzustellen, bis sie erkannte, dass ihr Bestes einfach nicht gut genug war. Da begann sie, sich zu verschließen.
Sie konnte sich mit Martine einfach nicht messen. Das war es, was mit ihr nicht stimmte. Martine war schön, Claire hingegen nur hübsch. Martine besaß ein sonniges, offenes Wesen, Claire neigte zu unerklärlichen Tränenausbrüchen und schreckte vor Menschen zurück. Martine war begabt, eine hervorragende Klavierspielerin, Claire weigerte sich, ein Instrument zu erlernen, und
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