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Linda Lael Miller

Linda Lael Miller

Titel: Linda Lael Miller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Denn dein Herz kennt den Weg
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zu
summen und konzentrierte sich darauf, die Pferde über den holprigen, ausgefahrenen
Weg zu lenken, den sie hier Straße nannten.
    Die Gegend
um die kleine Ortschaft Onion Creek war eine einzigartige Mischung aus
Flachland und waldbestandenen Bergen. Bess bezog einen gewissen widerstrebenden
Trost aus der Schönheit der Landschaft, als die aufgehende Sonne ihren Blick
auf grüne Felder mit einer Vielzahl wilder Blumen lenkte, auf hohe, zerklüftete
Felsen, die zu steil erschienen, um sie zu besteigen, und so hohe, mächtige
Bäume, daß sie ganz gewiß schon hier gestanden hatten, als die Pilgerväter von
Bord der Mayflower gegangen waren.
    »Warum sind
Sie nicht nach Norden gegangen wie Ihr Bruder, um Gold zu suchen?« fragte sie,
nur um Konversation zu machen, als das Schweigen zu lange anhielt und sie sich
einsam zu fühlen begann.
    Will nahm
seinen Hut ab, in einer etwas gereizten Geste, und setzte ihn dann wieder auf,
genauso brüsk. »Das ist gutes Land hier«, sagte er. »Es hat alles, was ein Mann
sich wünschen kann – Holz, gute Erde und eine Menge Platz. Warum jemand diese
schönen Berge gegen einen Ort eintauscht, wo es sechs Monate im Jahr dunkel ist
und die Flüsse bis auf den Grund gefrieren, ist mir unbegreiflich.«
    Bess
betrachtete Will aus dem Augenwinkel und begann sehr nachdenklich zu werden. Er
besaß nicht das gute Aussehen seines Bruders, jedenfalls soweit sie das bei all
diesem Haar sagen konnte, aber er war ein Mann, der offenbar bereit war, für
das zu kämpfen, was er wollte.
    Was
bedeutete, daß er erheblich zäher war als sie.
    »Was ist
eigentlich vorgefallen im Osten, das Sie dazu getrieben hat, so weit zu
fliehen?« fragte Will plötzlich und bewies damit nur wieder einmal diese
verflixte Einfühlsamkeit, die ihr schon vorher aufgefallen war.
    »Das ist
aber eine unverblümte Frage.«
    »Hier
draußen nehmen wir uns nicht die Zeit für schöne Worte und höfliche
Ümschreibungen«, antwortete er. »Wir sagen einfach, was wir denken, in den
meisten Fällen jedenfalls. Es erspart uns Zeit.«
    Bess
seufzte. Früher oder später würde sie sowieso gestehen müssen, warum also nicht
jetzt, dann hatte sie es hinter sich. »Ich sollte einen Mann namens Jackson
Reese heiraten«, begann sie, setzte sich aufrechter hin, sah Will aber nicht
an. »Es war das gesellschaftliche Ereignis der Weihnachtszeit. Mein
Brautkleid war mit echten Perlen bestickt – Mama hatte es in New York
anfertigen lassen, und wir sind dreimal mit dem Zug zur Anprobe hingefahren.«
Bess hielt inne, denn was sie jetzt zu sagen hatte, brachte sie fast um. »Aber
all das hat mir nichts ausgemacht«, fuhr sie leise fort, »das mit dem Kleid
und so, meine ich. Schlimm war nur, daß Jackson und meine Schwester Molly am
Morgen der Hochzeit miteinander durchgebrannt sind.«
    Zu Bess'
abgrundtiefer Überraschung und Beschämung lenkte Will den Wagen an den
Straßenrand und brachte die Pferde mit einem lauten »Hoh!« zum Stehen.
    Bess
zitterte auf dem harten, kalten Wagensitz, weil sie nicht wußte, warum Will die
Fahrt so plötzlich unterbrochen hatte.
Vielleicht hatte er beschlossen, sie mit Sack und Pack auszuladen. Vielleicht
war auch er inzwischen zu dem Schluß gekommen, daß er sie nicht haben wollte,
genau wie Jackson damals an ihrem Hochzeitstag.
    »Dieser
Mann muß der König aller Narren gewesen sein«, sagte er ruhig, während er einen
starken Arm um Bess' Taille legte und sie einmal kurz an sich zog.
    Sie war
weder erschrocken noch gekränkt, weil sie wußte, daß diese Ümarmung als Geste
des Trostes und nicht als plumpe Vertraulichkeit gemeint war.
    Will legte
eine Hand unter ihr Kinn und zwang sie, ihn anzusehen. »Eins dürfen Sie niemals
vergessen, Bess. Was dort in Ihrer Heimat geschehen ist, war deren Schande,
die Ihrer Schwester und des Bastards, mit dem sie sich eingelassen hat, aber
nicht Ihre, Bess. Wenn Sie klug sind, versuchen Sie, es zu vergessen und sich
hier einen Platz für sich selbst zu schaffen.«
    Bess nickte
schließlich, weil sie ihrer Stimme nicht traute, und atmete erleichtert auf,
als Will seine Hand wieder zurückzog, die Zügel aufnahm und die Pferde erneut
in Bewegung setzte. Bald holperten sie wieder über die Straße, und Bess merkte
plötzlich, wie müde und erschöpft sie war. Sie gähnte, legte ihren Kopf an
Wills Schulter und döste ein.
    Er weckte
sie einige Zeit später, indem er die Zügel anzog und wieder »Hoh!« schrie.
    Bess zuckte
zusammen und schaute sich blinzelnd um.

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