Linda Lael Miller
daß du ohne Herz in deiner Brust zurückkehren und
mich verachten würdest für ein Verbrechen, das ich nicht begangen habe –, dann
wäre es niemandem gelungen, mich davon abzuhalten, meinem Leben ein Ende zu
bereiten!«
Christian
starrte sie in einer Mischung aus Wut und Sorge an. »Wer hat dich davon
abgehalten?«
»James. Er
packte mich von hinten und hielt mich fest, bis ich zu zappeln aufhörte. Dann
nahm er mich in die Arme, streichelte mein Haar und bat mich, ihn zu
heiraten.«
Christian
schwieg, während er ihre Worte überdachte.
»Bist du
jetzt zufrieden?« fragte Melissande und versuchte, an ihm vorbeizugehen in den
Burghof, wo die warme Sonne hoffentlich die Kälte aus ihren Knochen vertreiben
würde.
Doch
Christian hielt sie auf. »Ich hätte es nicht ertragen«, stieß er hervor, »wenn
du meinetwegen gestorben wärst. Dann wäre es noch besser gewesen, wenn du dich
mit James vermählt hättest.«
Melissande
schaute aus feuchten Augen zu ihm auf. »0 Christian«, wisperte sie, »was sollen
wir nur tun?«
Er zog sie
fest an seine Brust und schob seine Hände unter ihr langes Haar. »Das«, sagte
er und bog ihren Kopf zurück, damit sie seinen Kuß empfangen konnte.
Verzweiflung
lag in diesem Kuß, Leidenschaft und Freude.
»Möge Gott
mir beistehen«, murmelte Christian rauh, als dieser erste Kuß ein Ende fand.
»Aber ich habe dich immer geliebt und werde dich auch immer lieben, Melissande«,
sagte er, schlang einen Arm um ihre Taille und führte sie in den verwahrlosten
großen Burgsaal, wo er sie in eine staubige Ecke drückte, um sie erneut zu
küssen.
»Was ist
los mit dir?« fragte sie außer Atem.
»Ich bin
ein Idiot gewesen«, sagte er, während er mit einer Hand ihr vom Wind zerzaustes
Haar zurückstrich. »Ein kompletter Narr.«
»Das hätte
ich dir auch sagen können«, entgegnete Melissande.
Er lachte.
»Verzeih
mir« sagte Christian, als er wieder ernst geworden war. Seine Augen funkelten,
als er auf sie herabschaute und prüfend ihr Gesicht betrachtete. »Du hattest
vorhin recht«, gestand er leise. »Deine Liebe zu verlieren war das Schlimmste,
was ich mir vorstellen konnte. Ich wollte darauf vorbereitet sein und mich
dagegen wappnen.«
Tränen
brannten in ihren Augen. »0 Christian ...«
Er
verschloß ihr den Mund mit einem Finger und lächelte sie an. »Ich liebe dich,
meine Dame Melissande. Sag, daß du mir gestattest, dich von neuem zu umwerben.«
Bevor Melissande etwas erwidern oder auch nur nicken konnte, ließ er sich etwas
ungeschickt auf ein Knie nieder und nahm ihre Hand in seine. »Laß uns diesen
Wahnsinn endlich beenden, Melissande«, sagte er. »Laß uns heiraten.«
15. Kapitel
Die Dame
Melissande nahm
seinen Antrag an, und das war erst der Beginn von Christian Lithwells Glückssträhne.
Es stellte sich nämlich schon bald heraus, im Verlauf der
Ausbesserungsarbeiten auf der Burg, daß James Lithwell, der siebte Earl von Wellingsley,
zwar nichts weiter als ein paar hungrige Dienstboten und vier ebenso vernachlässigte
Burgen hinterlassen hatte, ein früherer Earl jedoch eine erheblich bessere
Vorsorge getroffen hatte.
Verborgen
unter dem halbverfaulten Boden eines alten Schranks, in einem Teil der Burg,
der schon seit langer Zeit nicht mehr benutzt wurde, fanden sich mehrere Beutel
Gold, zusammen mit einem Holzkasten, der eine Sammlung von Juwelen enthielt,
die seit den Tagen der ersten Kreuzritter von Generation zu Generation in der
Familie weitergegeben worden waren.
Christian,
dessen Herz weder an Gold noch an Juwelen hing, traf unverzüglich den
Entschluß, das Gold zu investieren und die Juwelen zu verkaufen.
Von dem
Erlös wurden Nahrungsmittel und Vieh angeschafft, Werkzeuge, Steine und andere
notwendige Gerätschaften, und tüchtige Arbeiter wurden eingestellt, um nun
ernsthaft mit der Wiederherstellung von Wellingsley Castle zu beginnen.
Dienstboten eilten wieder durch Kammern und Korridore, fegten, schrubbten und
streuten frische Binsenkräuter auf den Böden aus, die Landarbeiter kehrten zu
den mit Unkraut überwucherten Feldern hinter den Mauern zurück, um mit ihren
Hacken und Spaten den fruchtbaren Boden zu bearbeiten.
Die
Hochzeit von Christian Lithwell und Melissande Bradgate sollte in vierzehn
Tagen stattfinden, aber zuerst galt es, die Angelegenheit mit den Galeeren zu
klären und die Sklaven zu befreien. Weder Melissande noch Christian waren
bereit zu ruhen, bis das begangene Unrecht wiedergutgemacht war.
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Robert
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