Linda Lael Miller
für nötig hielten. Nach diesem kurzen Blickaustausch standen sie auf,
folgten Rebeccas Beispiel und brachten ihre Teller zu der gußeisernen Spüle.
Bald darauf, dick eingepackt in Mäntel, Stiefel, Schal und Mütze, ihre
Schulbücher und Blechdosen mit dem Mittagessen in der Hand, verließen sie die
Küche.
Rebecca
beobachtete von der Hoftür aus, wie sie durch den tiefen Schnee, auf dem nun
helles Sonnenlicht glitzerte, zum Hühnerstall hinüberstapften. Pflichtbewußt
hielt Susan Annabelles Sachen fest, während ihre Schwester die gackernden
Hühner fütterte.
Das
Schulhaus lag nur ein Stück weiter unten an der Straße, hinter einer Kurve –
der Rauch, der aus dem Schornstein des Gebäudes aufstieg, kräuselte sich dunkelgrau
am taubengrauen Winterhimmel –, aber Rebecca ließ die Kinder dennoch nicht aus
den Augen, bis sie aus ihrer Sicht verschwunden waren.
Eine
eigenartige Besorgnis hatte sie erfaßt, als sie sich an ihre allmorgendlichen
Aufgaben wie das Aufräumen der Küche und das Holzhacken für den Ofen machte.
Aus irgendeinem unerklärlichen Grund glitt ihr Blick immer wieder zu der
stillen, schneebedeckten Straße hinüber.
Du hast
Arbeit zu erledigen, sagte sie sich und versuchte, diese unguten Gefühle
abzuschütteln, als sie den prächtigen roten Samt für Miss Ginny Dylans Weihnachtskleid
auf dem Tisch ausbreitete. Sie hatte das Schnittmuster nach einer ausgerissenen
Seite eines Modeheftes selbst entworfen, und der Aufgabe einen vollen
Nachmittag und einen halben Abend gewidmet. Obwohl sie sorgfältig Ginnys Maße
genommen und ihr die Papierstücke auch schon vorgehalten hatte, überprüfte sie
noch einmal jedes einzelne, bevor sie es am Stoff feststeckte. Der Samt war
teuer, sie konnte sich nicht erlauben, einen Fehler zu machen.
Die Sonne
wurde wärmer, als der Morgen fortschritt, und das Eis auf den Fenstern begann
zu schmelzen. Obwohl Rebecca sich voll und ganz auf ihre Aufgabe konzentrierte,
wollten Unruhe und Nervosität nicht von ihr weichen. Einmal legte sie sogar
ihren schäbigen wollenen Umhang um und ging den Pfad hinunter bis zur Straße,
um lange und angestrengt in beide Richtungen zu schauen.
Sie war
froh, als sie zum Haus und ihrer Näharbeit zurückkehrte, daß niemand ihr
merkwürdiges Benehmen sehen konnte und eine Erklärung dafür von ihr verlangte.
Lucas
Kiley hatte seinen
Wagen und die beiden Zugpferde in Spokane gekauft, eine knappe Stunde schon,
nachdem er aus dem in westlicher Richtung fahrenden Zug gestiegen war, mit dem
Kauf aller weiteren Vorräte, die er benötigte, jedoch noch gewartet. Da
Cornucopia von nun an seine Heimatstadt sein würde, hielt er es nur für recht
und billig, den ortsansässigen Händlern das Geschäft zukommen zu lassen.
Er war
durchgefroren bis auf die Knochen, als er endlich den kleinen Ort erreichte,
an den er so oft gedacht hatte – während jener langen Jahre in der Fabrik in
Chicago und
dann, später, nach dem Unfall –, und doch wurde ihm gleich viel wärmer und
leichter ums Herz beim Anblick jener kleinen Stadt.
Lucas
schaute sich prüfend um, damit ihm nicht die kleinste Einzelheit des Orts
entging, der von nun an sein Zuhause sein würde. Gott wußte, daß die Stadt
nicht viel zu bieten hatte – einen Krämerladen, eine Bank, eine Kirche, einen
Mietstall und zwei Saloons, zusammengedrängt in der Prärie. Einige wenige
solide Häuser flankierten die Hauptstraße, aber wegen der Kälte war niemand zu
sehen, lediglich ein magerer gelber Hund trieb sich draußen herum.
Lucas
zügelte die beiden großen braunen Zugpferde und stellte mit einem Fuß die
Bremse ein, während er einen zweiten Blick auf die Saloons riskierte, den Green
Grizzly Bear und Pool Parlor. Es war später Nachmittag und damit die
richtige Zeit für ein Glas Whiskey, das das Eis in seinem Blut zum Schmelzen
bringen würde. Aber er würde jeden Penny seines gesparten Geldes brauchen, um
genügend Vorräte und Holz für den langen Winter zu erwerben.
Und so
betrat er statt des Saloons den Gemischtwarenladen und fühlte sich gestärkt
von der Wärme, die der große Ofen ausstrahlte, der mitten im Raum stand. Zwei
alte Männer saßen davor und wärmten sich die Füße an dem Chromgeländer, und
eine hübsche, dunkelhaarige Frau kam anmutig hinter der Theke hervor und auf
ihn zu. Sie mußte um die Vierzig sein, schätzte Lucas.
»Sie sind
hier fremd«, bemerkte die Dame freundlich, und ihre klugen Augen verrieten Güte
und Humor. Sie streckte eine Hand aus,
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