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Linda Lael Miller

Linda Lael Miller

Titel: Linda Lael Miller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Preis des Verlangens
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sich zu dem breiten Bett im Zimmer um. Hier war ihr Sohn gezeugt
worden, und hier war er zur Welt gekommen, genau wie ihre Tochter. Als
Nicholas noch sehr klein gewesen war, erst zwei, und sich mit Scharlach angesteckt
hatte, hatten sie und Gabriel ihn jede Nacht zwischen sich ins Bett gelegt, als
könnten sie ihn damit vor dem Tod beschützen.
    Er war von
der Krankheit wieder genesen, und einige Jahre später war Susannah erkrankt,
und sie hatten genau das gleiche wie bei Nicholas getan. Die Erinnerung an den
Tod des kleinen Mädchens schmerzte heute noch, ganz gleich, wie viele Jahre
seitdem auch vergangen waren.
    Warum nur,
fragte sie sich, hatte diese Tragödie sie von Gabriel entfernt, wenn sie sie
doch eigentlich in seine Arme hätte treiben müssen? Er hatte sich die größte
Mühe gegeben, sie zu trösten, das war nicht abzustreiten, aber ihre Trauer und
ihr Schmerz waren so überwältigend gewesen, so allumfassend, daß sie sie
buchstäblich blind und taub für alles andere gemacht hatten.
    Sie ging
zum Fenster, schob den dünnen Gardinenstoff beiseite und schaute auf das Land
hinaus. Ganz allein, auf einem kleinen Hügel, stand Susannahs Grabstein – ein
Engel aus Granit, der Wache über ihrer letzten Ruhestätte hielt.
    Julia
Sermon hatte natürlich auch etwas damit zu tun gehabt – Annabel war immer
eifersüchtig auf ihre merkwürdige Verbundenheit mit Gabriel gewesen –, aber
ganz so einfach war es nicht. Sicher, nach Susannahs Tod hatte er noch viel
mehr Zeit mit Julia ver bracht, aber jetzt, nach mehr als einem Dutzend Jahren,
war Annabel endlich bereit, zumindest einen Teil der Schuld auf sich zu nehmen.
    In ihrer
Trauer war sie ihm keine gute Ehefrau gewesen. Sie hatte sich seinen Versuchen,
sie zu erreichen, nicht widersetzt, tatsächlich hatte sie nie aufgehört, ihn
zu lieben, seit sie sich zum ersten Mal – sie fünfzehn, er sechzehn – auf dem
Friedhof von Parable begegnet waren. Sie war nur nicht in der Lage gewesen,
seine Zärtlichkeiten zu erwidern.
    Als
illegitimes Kind eines gutaussehenden, verarmten Engländers mit einem Hang zum
Spielen, Trinken und Herumstreunen, hatte Annabel keine Erinnerung an ihre
amerikanische Mutter, obwohl sie ihre unverheiratete Tante, Beatrice, gut genug
gekannt hatte, um sich – Jahre später – mit ihrem kleinen Sohn zu ihr zu
flüchten.
    Ellery
Latham, Annabels Vater, war das schwarze Schaf einer prominenten Familie, mit
einer so anrüchigen Vergangenheit, daß Annabel nicht einmal als erwachsene
Frau und nach so langer Zeit in England das volle Ausmaß seiner jugendlichen
Sünden kannte. Und auch nicht kennen wollte.
    Wichtig war
letzten Endes nur, daß Ellery von seinem Großvater Geld dafür erhalten hatte,
nie wieder nach England zurückzukehren, und daß ihm der Zutritt zu Evanwood,
dem prachtvollen Familiensitz, der ganz in der Nähe von Warwick Castle lag,
für immer untersagt wurde.
    Unter
diesen Umständen wuchs Annabel allmählich auf und wurde von einer Stadt in die
andere geschleppt, bis sie schließlich, als ihr Vater sich zu viele Feinde geschaffen
hatte, etwas von dem Familiensitz erfuhr. Und von da an kannte sie dann keinen anderen
Wunsch mehr, als nach Evanwood zu reisen und als Mitglied der immer kleiner
werdenden Familie Latham in ihrem Kreise aufgenommen zu werden, bevor es zu
spät war, um noch von ihnen akzeptiert zu werden.
    Für sie
hatte das ferne Evanwood fast etwas Magisches an sich gehabt. Dort, so hatte
das Kind Annabel geträumt, würde sie nicht die Tochter eines mittellosen, wenn
auch charmanten Vagabunden sein. Dort würde sie ein Mitglied einer angesehenen
Familie sein, eine geachtete Person, die irgendwo dazugehörte.
    Dieser
Traum war trotz Annabels Bemühungen nie wahr geworden, obwohl er ihre Jugend
verzehrt und sich zu einer Art Besessenheit bei ihr entwickelt hatte. Sie war
oft zu Gast in Evanwood gewesen, das jetzt ihrem kränklichen, mißtrauischen und
snobistischen Cousin Peers gehörte, aber sie war noch immer eine Fremde dort.
    Heute lebte
sie auf einem eigenen Landsitz in der Nähe, dank des großzügigen Unterhalts,
den Gabriel ihr zahlte, mit Dienern und mit Kammerzofen, und sie hatten einen
interessanten Freundeskreis. Evanwood und das Leben, das von Rechts wegen ihr
eigenes hätte sein müssen, war so unerreichbar wie eh und je; eigentlich
wünschte sie es sich auch gar nicht mehr.
    Annabel
preßte die Lippen zusammen. Und dennoch war sie nicht bereit, die Dinge
aufzugeben, die sie sich wünschte. Das

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