Linda Lael Miller
wollte, warum war sie dann überhaupt erst
fortgegangen? Es ergab ganz einfach keinen Sinn.
»Ich habe
Ben und Jimmy losgeschickt, damit sie Nicholas holen.«
Gabriel
versteifte sich beim Klang von Charlies Stimme, und eine leise Verlegenheit
befiel ihn, als müßten seine Gedanken und Gefühle für jeden offensichtlich
sein. »Verdammter Indianer«, murmelte er. »Wann wirst du endlich aufhören, dich
so an mich anzuschleichen?«
»Wahrscheinlich
nie«, antwortete Charlie gutmütig. »Ich muß allerdings zugeben, daß es keinen
Spaß mehr macht. Du wirst alt, Gabe.«
»Annabel
will sich von mir scheiden lassen«, sagte Gabe, obwohl er eigentlich überhaupt
nichts sagen wollte.
»Das
behauptet sie«, erwiderte Charlie, als interessierte es ihn gar nicht
sonderlich. »Wasch dir die Hände, Boß. Das Frühstück steht schon auf dem Tisch,
und ich denke, du wirst deine Kräfte brauchen.«
2. Kapitel
Nicholas McKeige war nur eine knappe Meile
von der Ranch entfernt und in Gedanken bei Charlies Mahlzeiten und den
bevorstehenden Festlichkeiten zum Unabhängigkeitstag, als er Ben Evans und
Jimmy Conroy traf. Sie ritten schnell, aber als sie ihn sahen, kamen sie sofort
zu ihm herüber, ein sicheres Zeichen für ihn, daß sie seinetwegen so in Eile
waren.
Er begrüßte
die beiden Rancharbeiter mit einem Grinsen, zügelte sein eigenes Pferd, einen
Wallach namens Homebrew, jedoch nicht. Ben und Jimmy waren beide jünger als
Nicholas, und doch arbeiteten sie schon seit einigen Jahren für seinen Vater –
die Menschen wuchsen entweder sehr schnell auf im Wilden Westen, oder sie
wurden überhaupt nicht alt.
»Gut, daß
wir dich gefunden haben!« sagte Jimmy.
Nicholas
schob seinen Hut in den Nacken und schaute die beiden Cowboys fragend an. Trotz
des sorglosen Lächelns, das er zeigte, war er beunruhigt. Daß zwei von Gabe
McKeiges Männern ihn so eilig suchten, war kein gutes Zeichen – irgend etwas
mußte auf der Ranch passiert sein. Sein Vater nahm das Leben ziemlich ernst,
und deshalb mochte er es nicht, wenn jemand seinen Arbeitsplatz verließ. Es war
einer der Gründe, warum es so oft Streit zwischen Nicholas und seinem Vater
gab.
»Es ist
wegen deiner Ma«, warf Ben mit großen Augen ein, und Nicholas' Magen
verkrampfte sich so heftig, daß es schmerzte.
Das Grinsen
fiel von seinem Gesicht wie ein Stein von einem steilen Abhang. »Was ist mit
ihr?« fragte er und zügelte den Wallach, so daß auch Ben und Jimmy gezwungen
waren, ihre Pferde anzuhalten.
Sie standen
jetzt vor ihm und wechselten einen unsicheren Blick.
»Sie ist
zurückgekommen«, antwortete Jimmy nach kurzer Überlegung.
Nicholas
starrte ihn an, erleichtert und verblüfft zugleich. »Was?«
Ben stieß
ein entzücktes Kichern aus wie eine alte Jungfer, die bei Kuchen und Tee
besonders pikanten Klatsch verbreitet. »Sie ist hier – hier auf der Ranch. Du
hättest die Kutsche sehen sollen, mit der sie kam – bunt wie ein Zirkuswagen.
Und sie hat zwei Hunde bei sich, die fast so groß wie Ponys sind.« Er streckte
die Hand aus, um seinem etwas kleineren Begleiter einen Stoß in die Rippen zu
versetzen. »Jimmy könnte auf einem von ihnen reiten.«
Nicholas
stieß Homebrew die Absätze seiner Stiefel in die Flanken und brach zwischen
den beiden anderen Pferden durch, so, wie Moses das Rote Meer vor sich geteilt
hatte, aber er hielt die Zügel straff und ließ den Wallach nur im Schritt
gehen. Sich vorbeugend, stützte er einen Arm auf den Sattelknauf und dachte
über das nach, was ihn zu Hause auf der Ranch erwarten mochte.
»War mein
Vater da, als sie kam?«
Die beiden
jungen Männer tauschten ein mutwilliges Grinsen aus.
»O ja«,
sagte Jimmy. »Es hat sich in Windeseile bis zur Ranch herumgesprochen. Sie fand
ihn im Samhill Saloon, wo er aus Miss Julia Sermons Zimmer kam.«
»Jesus«,
stöhnte Nicholas. Bei der bloßen Vorstellung dieser Szene trat ihm kalter
Schweiß auf die Stirn.
»Wurde Blut vergossen?« Niemand lachte, und das war auch besser so, denn die
Frage war nicht als Scherz gemeint gewesen.
Kurz darauf
war er zu Hause. Er übergab Homebrew einem seiner Begleiter, damit er ihn
versorgte, obwohl sein Vater ihn gelehrt hatte, es immer selbst zu tun, und
betrat nach einem wehmütigen Blick auf seine schmutzigen Kleider das Haus durch
die Küchentür.
Charlie
spülte Geschirr in dem großen Becken. Er bedachte Nicholas mit einem
abschätzenden Blick, sah das vom Wind zerzauste, schulterlange Haar und den
Schmutz und Staub auf
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