Linda Lael Miller
im Gras, und die Asche und verkohlten Holzreste waren kalt.
Nicholas
sah aus, als ob er jeden Augenblick das Bewußtsein verlieren und aus dem Sattel
fallen werde. Verdammt, dachte Gabriel reumütig, ich hätte dem Jungen nicht
erlauben dürfen, mitzukommen. Annabel wäre vernünftiger gewesen. Und sie würde
vor Empörung an die Decke gehen, wenn sie es herausfand ...
Gabe
drückte Nicholas eine kleine Flasche in die Hand. »Trink, soviel du schlucken
kannst«, befahl er.
Nicholas
schraubte die Flasche auf, hob sie an die Lippen und legte den Kopf zurück. Er
schluckte mehrmals und rülpste anerkennend, als er die Flasche wieder
zuschraubte und sie Gabe zurückgab. »Das war es beinahe wert, angeschossen zu
werden«, sagte er.
»Wie weit
ist es bis zum zweiten Lager?« fragte Gabe, während er die Flasche in die
Innentasche seines Rocks steckte.
»Noch etwa
fünf Meilen oder so«, antwortete Nicholas, nachdem er sich mit der Hand über
den Mund gefahren war. Mit dem Kopf deutete er auf die Tasche, in der Gabriel
den Whiskey untergebracht hatte. »War das das Frühstück?«
»Wenn du
ihn bei dir behältst, dann nicht«, erwiderte Gabe. »Aber wenn du es nicht
schaffst, wäre es ziemlich sinnlos, dir noch irgend etwas anderes zu geben,
nicht?«
Nicholas
lachte, aber es war ein solch scharfer, schriller Ton, daß er Gabriel in den
Ohren schmerzte. »Annabel wird dir dafür das Fell über die Ohren ziehen«,
sagte er und schien die Vorstellung ganz offensichtlich zu genießen. »Zuerst
schleppst du ihren kleinen Jungen mit in die Wildnis, um einen Indianer zu
suchen, der vermutlich überhaupt nicht gefunden werden will, und dann gibst du
ihm noch Schnaps zum Frühstück.«
Gabe fand
das gar nicht lustig, einerseits, weil Nicholas ganz recht hatte – Annabel würde ihn dafür zur Rechenschaft ziehen –, und andererseits, weil der Junge wie
ein Bild des Todes aussah.
»Ich könnte
es ihr nicht verdenken, wenn sie mich dafür erschießen würde«, entgegnete er
düster. »Ich würde es an ihrer Stelle auch tun.« Er streckte die Hand aus und
nahm Nicholas die Zügel ab. »Wir kehren um. Wir reiten sofort heim.«
Nicholas
fluchte, aber als er versuchte, die Zügel wieder zu ergreifen, schwankte er,
und nur Gabes schnellem
Zugriff hatte er zu verdanken, daß er nicht kopfüber aus dem Sattel stürzte.
»Ich
glaube, ich könnte noch ein bißchen mehr von diesem Whiskey vertragen«,
murmelte Nicholas mit belegter Stimme. Dann wandte er den Kopf ab und erbrach
sich in das Gras.
Danach
zitterte er so heftig, daß Gabe die Hände seines Sohnes am Sattelhorn
festbinden mußte, damit er nicht vom Pferd stürzte. In quälend langsamem Tempo
ritten sie zum ersten Lagerplatz zurück, wobei Nicholas immer wieder für kurze
Zeit bewußtlos wurde und Gabe sich im stillen dafür verfluchte, den Jungen
mitgebracht zu haben. Wenn er das überlebt, dachte er, dann bestimmt nicht,
weil sein Vater nicht sein Bestes getan hätte, um ihn umzubringen.
Nicholas'
Hemd war naß von Blut und Schweiß, als Gabe ihn schließlich vom Pferd hob und
ihn in den kühlen Schatten einer Baumwollpappel legte.
Nicholas
bäumte sich auf und lachte wie ein Wahnsinniger, um gleich darauf in Tränen
auszubrechen und so bitterlich zu schluchzen, daß es nicht einmal das Herz
eines Henkers kaltgelassen hätte. Gabriels Gesicht war naß von Tränen, als er
einen Schlafsack für seinen Sohn ausrollte und ein Feuer anzündete, in der
Hoffnung, ihn damit warm zu halten. Und Charlie auf sie aufmerksam zu machen,
falls er irgendwo in der Nähe war.
Charlie,
mit seiner ruhigen Besonnenheit und seinem Wissen über die althergebrachten
Heilmethoden der Indianer, würde Nicholas helfen können.
Gabe fand
eine Quelle und füllte seine Feldflasche mit klarem, frischem Wasser, mit dem
er sein Halstuch befeuchtete, um es seinem fiebernden Sohn auf die Stirn zu
legen. Zumindest hatte die Blutung auf gehört, aber als Gabe die Verbände
abnahm, war er entsetzt über den Anblick, den die Wunde bot – sie war dick
angeschwollen und sonderte eine übelriechende gelbe Flüssigkeit ab. Er war
kein Arzt, aber er wußte, daß er eine Infektion vor sich hatte, die tödlich
enden konnte.
Er benutzte
jeden trockenen Zweig und Ast, den er finden konnte, um das Feuer zu
vergrößern, und betete stumm, während er wartete. Das Bild eines Grabsteins mit
Nicholas' Namen darauf, der gleich neben dem Susannahs lag, drängte sich immer
wieder vor sein inneres Auge, und immer
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