Linda Lael Miller
Eingeborene. Wahrscheinlich wird er mich
hinauswerfen, wenn er erfährt, daß ich in seinem Haus bin.«
Annabels
Erschöpfung wurde höchstens noch von ihrem Ärger übertroffen, nicht nur auf
Jeffrey, der ihr, ungebeten
und unerwünschterweise, um die halbe Welt
gefolgt war, sondern auch auf Gabriel, der ihn eingestellt hatte, und auf
Charlie, der ihm gestattet hatte, im
Haus zu übernachten. Tatsächlich war sie sogar so
empört, daß ihr die Worte fehlten. Jeffrey wippte auf den Absätzen seiner
kostspieligen Hausschuhe.
»Also, wenn du mich jetzt entschuldigen würdest, meine Liebe, ich bin
hundemüde. Die Reise war sehr beschwerlich, wie du dir sicher denken
kannst. Gute Nacht.«
Sprachlos
verfolgte Annabel, wie Jeffrey Braithewait an ihr vorbeiging, vermutlich auf
seinem Weg zu einem der unteren Gästezimmer, und dabei ein romantisches
Liedchen vor sich hin summte. Als ihr Schock ein wenig nachließ, ging sie in
die Küche und war fast genauso verblüfft, dort Gabriel vorzufinden, wie sie es
gewesen war, als sie Jeffrey im Eßzimmer begegnete.
Er saß am
Tisch über seinen Rechnungsbüchern, im goldenen Schein einer Petroleumlampe.
Annabels Unbehagen verstärkte sich noch durch eine eigenartige Zärtlichkeit,
die sie befiel, als sie sah, daß er eine Brille trug. Sie hatte nicht gewußt,
daß er schon eine Brille brauchte – wie so viele Dinge, die sie nicht gewußt
hatte. Und so viele Veränderungen, von denen sie nichts mitbekommen hatte.
Gabriel
erhob den Blick zu ihr, nahm die randlose Brille ab und legte sie auf den
Tisch. Er wirkte reserviert,
abweisend fast; niemand, der ihn sah, wäre auf die Idee gekommen, daß er
Annabel erst wenige Stunden zuvor leidenschaftlich geliebt hatte.
»Du siehst
schrecklich aus«, stellte er fest und betrachtete ihre schmutzigen Kleider und
ihr aufgelöstes Haar, doch er, anders als Jeffrey, machte ihr keinen Vorwurf
daraus.
Er erhob
sich nicht, und das ärgerte Annabel, aber sie brachte nicht die Kraft auf, auf
dieser Höflichkeitsbezeigung
zu bestehen. Ohne etwas zu erwidern, ging sie zum Spülbecken, bückte sich zu
den Eimern, die darunter standen, und begann den ersten mit Wasser
vollzupumpen.
Gabriel
mußte sich so lautlos bewegt haben, wie Charlie es vielleicht getan hätte, denn
er stand auf einmal neben Annabel und schob sie beiseite, um ihr die Arbeit
abzunehmen.
»Schür das
Feuer«, sagte er. »Charlie ist schon schlafen gegangen.«
Lustlos
gehorchte Annabel. Dann nahm sie die größten Wasserkessel heraus und stellte
sie auf den Herd, damit Gabe sie füllte.
Und das tat
er, sehr geschickt sogar.
»Warum«,
fragte Annabel, als sie ihrer Stimme endlich wieder traute, »hast du Jeffrey
Braithewait erlaubt, im
Haus zu übernachten?« Sie schaute Gabriel nicht an, war sich seiner Nähe aber
schmerzhaft deutlich bewußt. »Er behauptet, Charlie hätte es ihm gestattet,
hinter deinem Rücken – aber du müßtest doch eigentlich wissen, daß er hier
ist?«
Gabriel
lächelte. »Ich werfe ihn morgen früh hinaus«, erwiderte er prompt. »Warum bist
du so wenig gastfreundlich, Annabel? Schließlich ist er ein Freund von dir,
nicht wahr?«
Sie wandte
sich ärgerlich zu Gabriel um. Er hatte schon längst gebadet, sein Haar war
sauber, ordentlich frisiert und glänzte wie reine Seide im Schein der Lampe.
»Mr.
Braithewait ist nicht mein Freund«, erklärte sie. »Er ist nichts weiter als ein
unverfrorener und größenwahnsinniger
Idiot, der sich zudem noch einbildet, charmant zu sein. Wenn ich gewußt hätte,
daß er hier ist, hätte ich bei Jessie übernachtet, und wenn das nicht möglich
gewesen wäre, in einer Pferdebox im Mietstall!«
Gabriel
grinste anzüglich, und das erinnerte Annabel an Nicholas, obwohl der Vergleich
sehr schnell verblaßte. »Aber er hat diesen ganzen weiten Weg auf sich
genommen, um dich um deine Hand zu bitten, Lady Annabel. Hier ist deine Chance,
einen Ehemann zu gewinnen und eine ganze Horde affektierter Gören in samtenen
Kniehosen und Troddelmützchen.
Annabels
Wangen schmerzten, so sehr glühten sie. Wenn sie sich nicht so nach einem Bad
gesehnt hätte, wäre sie nun auf der Stelle hinausgegangen. »Ich kann weder
Jeffrey noch irgendeinen anderen heiraten«, wandte sie mit kaum verhohlenem
Ärger ein, »wenn ich bereits einen Ehemann habe. Einen, der sich weigert, mich
aus dieser unhaltbaren Verbindung zu entlassen, darf ich vielleicht
hinzufügen.«
»Unhaltbar?
Ist es das, was du heute gedacht hast, als du mir mit deinen
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