Linda Lael Miller
Fingernägeln die
Haut vom Rücken bis zur Brust zerkratzt hast? Als du sagtest ...«
»Hör auf!«
zischte Annabel und versuchte sich einzureden, daß die Leidenschaft, mit der
sie antwortete, auf ihre Empörung und nicht etwa auf das Wiedererwachen
irgendwelcher skandalösen Empfindungen zurückzuführen war. Sie wollte das
Gesicht abwenden, aber Gabriel umfaßte sanft ihr Kinn und zwang sie, ihn
anzusehen.
»Es tut mir
leid, Annabel«, sagte er, scheinbar aufrichtig und mit einer gewissen
schroffen Zärtlichkeit. »Ich kann sehen, daß du todmüde bist, und da sollte ich
dich nicht ärgern. Geh und setz dich, dann brühe ich dir eine Kanne von dem Tee
auf, den du so gerne trinkst.«
Annabel war
fassungslos; der Umgang mit Gabriel war wirklich sehr verwirrend. In einem
Moment führte er sich wie ein richtiger Strolch und Esel auf, im nächsten war
er der perfekte Gentleman, liebevoll, beherrscht und fürsorglich. Und trug zum
Lesen eine Brille.
Sie ging
zum Tisch und ließ sich auf die Bank fallen.
»Hast du
schon gegessen?« Gabriel füllte den Teekessel und stellte ihn zu den anderen
Kesseln auf den Herd.
»Nicholas
hat mir heute ein halbes Dutzend Forel len mitgebracht«, sagte Annabel und
lächelte bei der Erinnerung daran. »Wir haben zusammen zu Abend gegessen.«
Gabriel
schaute über seine Schulter. »Ah, der schwer zu fassende Nicholas! Ich habe ihn
den ganzen Tag gesucht. Weißt du, wo er jetzt steckt?«
»In der
Scheune oder in der Arbeiterbaracke, denke ich. Er hat mich in meinem Wagen
hergefahren.«
Gabriel
nahm eine Dose Tee aus dem Regal, zusammen mit einer Steingutkanne, einer Tasse
und einer Zuckerschale. Er schien sich für einen Rancher, der die meiste Zeit
als Junggeselle lebte, bemerkenswert gut mit der Zubereitung von Tee
auszukennen, und Annabel fragte sich, ob er ihn für Julia zubereitet hatte, in
ihren privaten Zimmern über dem Saloon.
Gabriel sagte
nichts dazu. Während das Wasser sich erhitzte, ging er hinaus auf die Veranda
und kam kurz darauf mit einer runden Kupferwanne wieder. Er stellte sie vor den
Herd und prüfte mit dem Zeigefinger, wie heiß das Wasser in den Kesseln war.
Annabel
schaute ihm mit großen Augen zu. »Du glaubst doch wohl nicht, daß ich hier bade«,
protestierte sie, »wo Gott und die Welt hindurchmarschiert?«
Gabriel
lächelte nur und zog die Schultern hoch. »Und du glaubst doch wohl nicht, Mrs.
McKeige, daß ich all diese Eimer die Treppe hinaufschleppen werde, nur damit du
dich beklagen kannst, dein Wasser wäre kalt.«
Annabel
schluckte. »Gabriel, du weißt, wie viele Leute in die Küche kommen.«
Er ging zur
Hintertür und schob einen Stuhl unter die Klinke.
Dann stellte er einen zweiten vor die Tür zum Eßzimmer.
»Ich werde
persönlich Wache halten«, sagte er.
Annabel
stöhnte und legte den Kopf auf die Arme. Sie sah keine Möglichkeit, Gabriel von
seinem verrückten Vorhaben abzubringen, und war viel zu müde, um die Eimer mit
dem Wasser selbst die Treppe hinaufzuschleppen.
»Du willst
mich quälen!« beschuldigte sie ihn. »Nein«, erwiderte Gabe mit einem
vielsagenden Grinsen. »Ich will dich nackt sehen.«
Darauf
wußte sie keine Erwiderung. Sie war nicht einmal sicher, ob es ihr etwas
ausmachte, wenn Gabriel sie unbekleidet sah. Sie blieb einfach am Tisch sitzen,
gelähmt vor Müdigkeit, und schaute zu, wie Gabriel den Tee aufbrühte und sich
wieder um die Wasserkessel kümmerte.
Dampf stieg
in Schwaden von den großen Kesseln auf, als Annabel ihren Tee bekam und die
Tasse so ehrfürchtig in beiden Händen hielt wie ein Bettler, dem eine
barmherzige Seele eine heiße Suppe eingeschenkt hatte. Der Tee enthielt eine
großzügige Portion Whiskey.
»Warum
setzt du nicht wieder deine Brille auf?« fragte sie, schon nach den ersten
Schlucken ein wenig beschwipst, während Gabriel das heiße Wasser in die Wanne
goß. »Es gefällt mir, wie du damit aussiehst. So gelehrt und weise.«
Gabriel
lachte, sehr leise und sehr männlich, und machte eine auffordernde
Handbewegung. »Wenn es doch nur so einfach wäre, weise zu sein«, sagte er.
»Beeil dich, Annabel – dein Bad wird kalt.«
Während der
schier endlos langen Zeit, die sie benötigte, um die nicht übermäßig große
Küche zu durchqueren, gähnend und im Gehen ihre Kleider ablegend, drehte
Gabriel den Docht der Lampe herunter, bis der Raum kaum noch erhellt war. Die
Flamme verbreitete nur noch ein schwaches, sanftes Glühen. Gabes
Gesichtsausdruck war bei der schwachen
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