Linda Lael Miller
verlassen, nur weil Ihr es so wollt!« wandte das Mädchen ein.
»Na schön«,
erwiderte Gloriana gekränkt. »Vergiß es. Du kannst hierbleiben, Judith, und bei
den Hunden und anderen Dienern in der Küche schlafen. In meinem Haus hättest du
natürlich ein eigenes Zimmer, mit einem Bett, das du mit niemandem zu teilen
brauchtest ...«
Das Mädchen
machte große Augen. »Was würde das schon nützen«, sagte sie dann, »wenn Lord
Kenbrook käme, um uns an den Haaren hierher zurückzuschleifen!«
Gloriana
seufzte. »Ich würde Kenbrooks Herz mit einem Pfeil durchbohren, wenn er so
etwas versuchen würde!«
Judiths
Augen wurden noch größer. »Sie würden Euch am Hals aufhängen, wenn Ihr so etwas
tätet!«
»Um Himmels
willen, Judith«, meinte Gloriana ungeduldig. »Ich meinte es nicht wörtlich. Es
war nur ein Beispiel. Wirst du nun mit mir gehen oder nicht?«
Judith
überlegte, schluckte und kratzte sich am Kopf. »Ich gehe mit, wenn Ihr es
wünscht, Mylady. Aber glaubt mir – sie werden uns beide in die Abtei stecken,
bis ans Ende unserer Tage, genau wie Lady Hadleigh!«
Diese
Vorstellung löste ein Frösteln in Gloriana aus. Elaina schien zufrieden mit dem
Klosterleben, aber Gloriana wußte, daß sie selbst sich wie eine Gefangene
fühlen und
vermutlich den Verstand verlieren würde. »Lord Hadleigh ist ein gerechter
Mann«, erklärte sie, aber mit weniger Überzeugung, als sie vor ihrem Gespräch
mit Gareth empfunden hatte. »Er würde dich nie dafür bestrafen, meine Anordnungen
befolgt zu haben.«
Judith
nickte, sagte: »Ja, Mylady«, und hastete hinaus. Die massive Eichentür fiel
krachend hinter ihr ins Schloß.
Gloriana,
mit gelöstem Haar und nur mit ihrem Hemd bekleidet, durchquerte den Raum, um
den Riegel vorzuschieben.
Dann, nachdem sie sich gewaschen und ein rasches Gebet gesprochen hatte, stieg
sie in ihr Bett. Es folgte das Ritual des Hemdausziehens, dann kuschelte sie
sich in die Federn, um zu schlafen.
Der Lärm
aus der Halle war deutlich zu vernehmen, selbst aus dieser Entfernung, und
während Gloriana lauschte,
brannten ihre Augen von Tränen, die sie nicht vergießen wollte. Sie hatte wegen
Kenbrook genug geweint, und selbst wenn es sie das Leben kosten sollte, sie
würde nicht mehr weinen! Er war es einfach nicht wert.
Und dennoch
glaubte sie, ihn zu lieben. Ihrer eigenen, beträchtlichen Willenskraft und
allen Argumenten ihrer Vernunft
zum Trotz empfand sie die Trennung von Dane so schmerzhaft, wie sie den Verlust
eines ihrer Glieder empfunden hätte.
So
sollte es aber nicht sein, jammerte
sie innerlich.
Ein Klopfen
ertönte an ihrer Zimmertür, das sich kurz darauf wiederholte.
Edward,
zweifellos, und zu betrunken, um sich auf den Beinen zu halten. Er wird es
morgen früh bereuen, dachte Gloriana schadenfroh. »Geh weg!« rief sie.
»Bitte«,
antwortete eine zaghafte, furchtsame Stimme mit französischem Akzent. »Bitte,
laßt mich ein, Mademoiselle, ich habe Angst!«
Mariette.
Gloriana
sprang auf, zog ihr Hemd über den Kopf und ging zur Tür. Der Riegel klemmte, aber
es gelang ihr, ihn zu öffnen, und so ließ sie die junge Frau ein, die ihr Mann
zu seiner Braut erwählt hatte.
Mariette
weinte und fröstelte in ihrer dünnen, spitzenbesetzten Tunika. Eine Nachthaube
aus durchsichtiger Gaze
bedeckte ihr dunkles Haar. »Es gefällt mir hier nicht«, sagte sie. »Es ist so
laut hier, und ich fürchte mich so sehr!«
Gloriana,
die einst geglaubt hatte, diese Frau zu hassen, stellte fest, daß es ihr nichts
ausmachte, Mariette zu trösten. Sie
führte sie zur Bank vor dem Kamin und bat sie, sich zu setzen. Dann legte sie
ihr behutsam eine Decke um die bebenden Schultern.
»Ich will
nach Hause«, murmelte Mariette, als ihr Schluchzen für einen Moment verstummte.
Gloriana
setzte sich neben sie und legte einen Arm um ihre Schultern. »Pst«, sagte sie,
sanft wie eine Mutter, die ein
aufgeregtes Kind beruhigt, und versuchte, sich auf ihr spärliches Französisch
zu besinnen. Leider beherrschte sie diese poetische Sprache nur sehr
unzureichend. »Du wirst bald heiraten. Dann bist du wieder glücklich.«
Mariette
schenkte ihr ein zaghaftes Lächeln. »Ja«, erwiderte sie in Englisch. »Aber
damit ich glücklich sein kann, mußt du leiden, und das will ich nicht. Du warst
so gut zu mir.«
Gloriana
seufzte leise. »Ich werde auch weiterhin deine Freundin sein, ganz gleich, was
passiert, Mariette.« Vorausgesetzt
natürlich, sie sperren mich nicht in irgendeinem Turmzimmer oder
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