Linda Lael Miller
heruntergebrannt, als Gloriana
aufstand und Dane verließ – ihm eine gute Nacht zu wünschen, hätte das
offizielle Ende ihres Waffenstillstands bedeutet – und durch den dunklen Garten
auf ihren Hof zuging.
Es wäre ihr
nie in den Sinn gekommen, sich zu fürchten, denn sie kannte sich in Hadleigh
Castle aus, und niemand hätte je gewagt, sie zu belästigen. Doch nun, als sie
an einer hohen Hecke vorbeiging, hörte sie ein Rascheln hinter sich.
Im Glauben,
es sei Edward, der ihr einen Streich spielte, oder Dane, der den morgigen Krieg
zu früh begann, drehte sie sich um, stützte die Hände in die Hüften und spähte
ungeduldig in die Dunkelheit. »Wer immer du auch sein magst – laß mich in
Ruhe«, befahl sie.
In diesem
Augenblick schloß sich von hinten ein starker Arm um ihre Taille, eine Hand
legte sich über ihren Mund.
»Habt keine
Angst, Mylady«, flüsterte eine Stimme, die ihr zwar bekannt vorkam, die sie
jedoch nicht erkannte. »Ich schwöre bei meiner Seele, daß niemand Euch etwas
zuleide tun wird.«
Das
vermochte Gloriana nicht zu beruhigen, und so trat sie aus und zappelte, doch
ohne Erfolg. Ihr Angreifer war groß und kräftig, und falls er doch sein
Versprechen bräche und ihr etwas antäte, könnte sie nichts dagegen unternehmen.
Dennoch
verdoppelte sie ihre Bemühungen, denn Gloriana hielt nichts davon, aufzugeben,
selbst wenn keine Hoffnung auf Erfolg bestand. Ihr Angreifer fluchte leise und
hielt sie fest, während sich aus Hecken und Schatten Männer lösten, um ihm
dabei zu helfen, die Wildkatze fortzuschaffen. Blitzschnell hatte man ihr die
Augen verbunden, sie geknebelt und ihr an Händen und Füßen Fesseln angelegt.
Gloriana
blieb wachsam, für den Fall, daß sich eine Chance zur Flucht ergeben sollte.
Sie wurde auf einen Wagen gehoben, nicht grob, sondern ausgesprochen behutsam,
und mit Stroh bedeckt. Es kitzelte, stach und erschwerte ihr das Atmen.
Glorianas
Erregung wuchs, aber sie zwang sich, ruhig zu bleiben. Sie mußte nachdenken.
Konnte es sich um einen Streich oder irgendein Ritual der jungen Ritter handeln?
Nein, ausgeschlossen. Edward hätte einen so grausamen Scherz nie zugelassen,
geschweige denn, sich persönlich daran beteiligt.
Vorausgesetzt
natürlich, daß Edward wußte, was hier vorging ...
Ein
Frösteln erfaßte Gloriana, als sie sich an einige der schrecklichen Geschichten
erinnerte, die das Gesinde sich spätabends in der großen Halle am Kamin zu
erzählen pflegte. Ihr Entführer hätte Merrymont sein können, der grausame Feind
der St. Gregorys, oder ein Bandit, der sie verkaufen würde wie eine Ware ... sie
würde im Bauch eines Schiffs aus England fortgebracht und im Harem irgendeines
Sultans enden ... Nein, sie durfte solchen Gedanken nicht nachgeben!
Der Wagen
holperte über unebenen Boden, was bedeutete, daß er nicht durch den Burghof
oder das Dorf fuhr. Sie fuhren am Seeufer entlang; Gloriana hörte das leise
Plätschern der Wellen und nahm selbst durch das Stroh den Geruch nach Wasser
wahr. Doch in dieser Richtung lag nur Kenbrook Hall ...
Gloriana hätte
sich aufgerichtet, wenn ihre Fesseln sie nicht daran gehindert hätten. Kenbrook
Hall, der offizielle Wohnsitz Dane St. Gregorys, des fünften Barons von Kenbrook!
Ich hätte
es mir denken sollen, dachte sie verbittert, daß all seine Aufmerksamkeiten, angefangen
von dem Kuß am Gartentor bis hin zu jenem letzten Tanz heute abend, zu einem
geschickten Plan gehörten. Sie hatte damit gerechnet, daß die Feindseligkeiten
am nächsten Morgen wiederaufgenommen würden, doch er hatte sie übertölpelt.
Ein
überwältigender Zorn erfaßte sie.
Kenbrook
würde dafür zahlen. Beim Fersenknochen des heiligen Andreas, eingeschlossen in
Gareths zeremoniellem Schwert, bei den Engeln im Himmel und den Teufeln in
der Hölle – Gloriana schwor, daß sie Vergeltung üben würde.
Die Fahrt
zu der verlassenen Ruine schien Stunden zu dauern, und vielleicht war es auch
so, denn Kenbrooks Männer waren bestimmt zu klug, um durch Hast die Aufmerksamkeit
auf sich zu lenken. Es war stockfinster, und eine Wolke hatte den Mond
verschlungen, als sie in den Hof ratterten und Gloriana endlich aus ihrem Nest
aus Stroh
gehoben wurde. Dann wurde ihr die Augenbinde abgenommen.
Sie
erkannte die Männer, die sie entführt hatten, noch immer nicht, aber das war
nicht wichtig, denn sie wußte eh, wer sie waren. Kenbrooks bezahlte Söldner
mußten dieses Abenteuer als ungeheuer amüsant empfinden.
Wie ein
Kind wurde
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