Linda Lael Miller
Lampe
auf und begann sich umzusehen. Sie befand sich in einem sehr geräumigen
Zimmer, das in allen vier Himmelsrichtungen Fenster besaß, die weit geöffnet
waren, um die kühle Nachtluft einzulassen.
Als
Gloriana sich auf der Nordseite aus dem Fenster beugte, erkannte sie in der
Ferne Hadleigh Castle und den im Mondlicht schimmernden See. Rasch stellte sie
die Lampe auf das Fensterbrett und legte wie einen Trichter die Hände um den
Mund.
»Hilfe!«
schrie sie gellend, obwohl sie wußte, daß es sinnlos war.
Niemand
würde sie hören, und falls doch zufällig jemand ihren Schrei vernahm, würde er
sie für ein Gespenst halten, das in den alten Gemäuern umging, und entsetzt die
Flucht ergreifen. Ihre einzige Hoffnung war, daß Edward, wenn er sie am Morgen
vermißte, daran denken würde, an diesem Ort nachzusehen, wo sie als Kinder so
viele glückliche Stunden miteinander verbracht hatten.
Eine
beträchtliche Zeit war bereits verstrichen, als Gloriana Geräusche auf der
Treppe hörte.
»Großer
Gott«, fluchte jemand, »er ist schwerer als ein Ackergaul!«
»Paß auf,
daß du ihn nicht verletzt«, warnte eine andere Stimme.
»Und das
sagt der, der den armen Mann mit einem Stein niedergeschlagen hat!« versetzte
eine dritte Stimme spöttisch.
Gloriana
blieb dicht am Eingang stehen und stürzte hinaus, kaum daß die Tür sich
öffnete, doch jemand fing sie auf und trug sie in den Raum zurück. Zwei andere
Männer zerrten ihre ohnmächtige Beute, die niemand anderer als Kenbrook war,
über die Schwelle und ließen ihn achtlos aufs Gesicht fallen.
Gloriana
befreite sich von dem Mann, der sie an der Flucht gehindert hatte, lief zu
Kenbrook und kniete sich neben ihn auf den kalten Steinboden. Sein goldblondes
Haar war dunkel vor geronnenem Blut.
»Dane?«
wisperte sie und empfand plötzlich eine fürchterliche Angst.
»Morgen
wird er wieder auf den Beinen sein«, sagte einer von Gareths Männern aus dem
Halbdunkel, und dann gingen sie und verriegelten hinter sich die Tür.
Gloriana
berührte die Schulter ihres Gatten. »Dane!« rief sie noch einmal.
Er stöhnte.
»Mein Kopf«, sagte er unnötigerweise und versuchte, sich aufzurichten, was ihm
jedoch kläglich mißlang.
»Bleib
einen Moment dort liegen«, befahl Gloriana, während sie aufsprang und die Lampe
nahm, die sie vorher auf einen Tisch gestellt hatte. »Ich hole Wasser und
Tücher.«
Sie hatte
beides gesehen, als sie den Raum erforscht hatte, außerdem Lebensmittel, Wein,
Feuerholz, Schreibmaterial und ein Schachbrett mit Figuren aus Elfenbein und
Onyx sowie ein großes Bett, das vermutlich den eindeutigsten Hinweis auf
Gareths Absicht bildete.
Kenbrook,
der ihre Anweisung ignorierte, hatte sich gesetzt, als sie ihm zurückkehrte,
obwohl es ihm nicht gelungen war, sich aufzurichten. »Was zum Teufel ...?«
Gloriana
kniete sich hinter ihn und begann die Wunde an seinem Hinterkopf zu säubern.
»Du bist heimgekehrt nach Kenbrook Hall, Mylord«, sagte sie trocken, und der
Teufel hat gar nichts damit zu tun.«
Kapitel
7
»Wenn uns nicht der Teufel hergebracht
hat«, fragte Dane und sog scharf den Atem an, als Gloriana seine Kopfwunde mit
einem feuchten Tuch berührte, »wer dann?«
Gloriana
hatte inzwischen Zeit gehabt, sich an den Gedanken zu gewöhnen, und obwohl sie
wütend auf Gareth war und gewiß gern geflohen wäre, widerstrebte es ihr, ihn
als kompletten Schurken darzustellen. Sie überlegte noch, wie sie Kenbrooks
Fragen am besten beantworten sollte, als er von selbst erkannte, was geschehen
war.
»Großer
Gott«, murmelte er, schob Glorianas Hand fort und zog sich mühsam auf die
Beine. »Es war dieser Schwachkopf von meinem Bruder – denn wer sonst würde es
wohl wagen, mich in meiner eigenen Burg gefangenzuhalten?«
Auch
Gloriana erhob sich und stellte die Schüssel mit dem Wasser und Tuch auf einen
Tisch. »Aber warum sollte er uns so etwas antun?« fragte sie verwundert. »Ich
habe bisher nichts als Güte von Hadleigh erfahren, und doch ...«
Dane
schwankte und stützte sich auf die Lehne eines groben Stuhls.. »Dafür reiße ich
ihm die Zähne aus! Ich werde ihm die Ohren und die Haare auf seinem ...«
Gloriana
wartete und war enttäuscht, als Kenbrook nicht verriet, was er mit Gareths
Ohren zu tun gedachte. »Ich kann mir höchstens vorstellen«, bemerkte sie nach
einer hoffnungsvollen Pause, »daß Gareth hofft, wir würden uns gegenseitig
umbringen.«
Dane lachte
freudlos und ließ sich mit einem unterdrückten Stöhnen
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