Linda Lael Miller
raubte. Ihm
schwindelte, und seine Kehle wurde schmerzhaft eng, als ob jemand versuchte,
ihn zu erwürgen.
Ein Klopfen
an der Tür erschreckte ihn heftig, und er riß sich zusammen.
»Dane?« Das
war Gareths Stimme, schroff vor Sorge und Ungeduld, und er trug eine Lampe,
denn Licht fiel in den großen Raum. »Wo ist deine Frau? Großer Gott, Mann, du
wirst nicht für möglich halten, was gemunkelt wird ...«
Langsam
wandte Dane sich um und betrachtete schweigend seinen Bruder. Hier war eine
Gefahr, die er in seiner Angst und Verwirrung nicht einmal bedacht hatte. Es
war anzunehmen, daß Judith, die hübsche kleine Kammerfrau, den anderen
Dienstboten von Glorianas abruptem Verschwinden berichtet hatte. Der geringste
Verdacht auf Hexerei war tödlich bei diesen abergläubischen Menschen, die alle
außergewöhnlichen Ereignisse den Taten Satans zuzuschreiben pflegten.
»Verdammt«,
rief Gareth ungeduldig, »wirst du endlich sprechen?«
Dane
seufzte. »Wenn du gehört hast, daß Gloriana verschwunden ist, dann wird es
wohl so sein.«
»Wird es
zvohl so sein?« wiederholte
Gareth fassungslos. »Zum Donnerwetter, Kenbrook – ein Mensch kann sich nicht
einfach in Luft auflösen!«
Trotz der
frühen Stunde schenkte Dane sich einen Becher Wein ein. Gareth – der sich
selbst bedienen sollte, falls er etwas wollte – mußte noch vor Tagesanbruch aufgestanden
sein, um Kenbrook Hall so früh erreicht zu haben. Oder vielleicht war er auch
gar nicht erst zu Bett gegangen.
»Nein«,
stimmte Dane nach einigem Schlucken zu. Doch der Wein verfehlte heute seine
Wirkung, und angewidert stellte Dane den Becher fort. »Aber Gloriana ist keine
gewöhnliche Sterbliche.«
Gareth warf
einen nervösen Blick auf die Tür des Turmzimmers, die nur angelehnt war. »Was
ist sie dann, wenn sie keine
Frau aus Fleisch und Blut ist?« flüsterte er verstört.
Dane hätte
über die tragische Miene seines Bruders vielleicht gelacht, wenn die Lage nicht
so ernst gewesen wäre. »Gloriana ist eine Frau, Gareth, dessen kannst du dir
ganz sicher sein«, versicherte er und konnte nicht umhin, einen Blick auf das
Bett zu werfen, das er mit seiner Frau geteilt hatte, und sich voll bittersüßer
Sehnsucht an die kurzen, ungestümen Freuden zu erinnern, die sie dort erfahren
hatten. »Sie ist keine Hexe und keine Zauberin, und sie betet auch nicht den
Teufel an, falls es das ist, was deine Vasallen und Bauern verbreiten.«
»Es sind
einfache Leute«, gab Gareth zu bedenken. »Und was sollen sie denn
denken, wenn eine von ihnen Augenzeugin eines solchen Vorgangs war?«
»Gloriana
ist nicht böse«, sagte Dane. Zu unruhig, um sitzenzubleiben, durchquerte er den
Raum. »Ich kann dir nicht erklären, was geschehen ist, weil ich es selber nicht
verstehe. Ich gebe allerdings zu – und möge die heilige Jungfrau dich
beschützen, wenn du auch nur ein Wort davon verlauten läßt –, daß ich einmal
zugesehen habe, wie Gloriana sich buchstäblich in Rauch auflöste. Es geschah
hier in diesem Zimmer, wo wir stehen – eben war sie noch da, und im nächsten
Augenblick schon war sie fort.« Dane hielt inne, seufzte und rollte die
Schultern, um seine steifen Nackenmuskeln zu entspannen. Als er seinen Bruder
wieder ansah, war ihm bewußt, wieviel er preisgab. »Der einzige Unterschied
war, daß sie fast augenblicklich wieder erschien.«
Gareth
resignierte, ergriff Danes halbleeren Becher und leerte ihn auf einen Zug. Dann
ging er zur Tür, um nachzuprüfen, ob draußen jemand lauschte – ein wenig verspätet,
dachte Dane –, und schloß die schwere Tür. Während er über die Worte seines
jüngeren Bruders nachdachte, füllte Gareth den Becher aus der Karaffe auf dem
Tisch.
»Eine
solche Geschichte von anderen zu vernehmen ... Nun ja, es ist bekannt, wie
abergläubisch das gemeine Volk ist.
Sie haben ihre Sagen und Legenden. Aber es von dir zu hören, Kenbrook, ist
etwas völlig anderes. Du hast keine Schrullen und bist nie abergläubisch
gewesen. Möge Gott mir beistehen, aber wenn du schwörst, etwas Derartiges
gesehen zu haben, bleibt mir nichts anderes übrig, als dir zu glauben.«
Danes
Lächeln war humorlos, sein Herz nichts als ein hohler Schmerz in seiner Brust.
»Danke für dein Vertrauen – wie sehr es dir auch widerstreben mag, es zu
gewähren.«
Gareth nahm
Danes Bemerkung zur Kenntnis, indem er erneut den Becher hob und trank. Eine
steile Falte bildete sich zwischen seinen Brauen, als er über die Angelegenheit
nachdachte. »Was, in Gottes
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