Linda Lael Miller
römischen Bads, in den Gewölben unter Kenbrook
Hall, und spürte deren rauhe Kanten an ihren bloßen Füßen. Zwei brennende
Kerzen, Klumpen stinkenden Talgs in versengten Holzschalen, verbreiteten ihren
schwachen Schein über dem schwefelhaltigen Wasser. Dane saß mit geschlossenen
Augen in dem dampfenden Becken, sein Gesicht war völlig ausdruckslos und hager
in dem schwachen Licht.
Er
trauerte.
Gloriana
sagte seinen Namen, doch falls er es gehört hatte, reagierte er nicht darauf.
Sie sah
Grau in seinem Haar und frische Narben an seiner Brust, Spuren eines Dolches
oder Schwerts. Er war also noch immer Soldat und führte Kriege.
Beunruhigt
ging sie einen Schritt in seine Richtung, doch ihre Füße brachten sie nicht
näher als zuvor. Sie sah Kenbrook nun wie durch einen wabernden Nebelvorhang
und rief ihn noch verzweifelter als zuvor.
Er wandte
sich zu ihr um, und sie sah eine furchtbare Einsamkeit in seinen Augen und
größte Fassungslosigkeit, als glaubte er, einen Geist erblickt zu haben. Im
letzten Augenblick, bevor Gloriana erwachte und Dane erneut verlor, kam sie zu
einer erschütternden Einsicht.
Dane war
viel älter in diesem Traum – was bedeutete, daß die Zeit auf seiner Seite des
Schleiers nicht im gleichen Takt verstrich wie auf ihrer Seite. Falls es ihr
irgendwie gelang, zu ihm zurückzukehren, würde sie vielleicht feststellen
müssen, daß Dane längst tot oder gerade erst geboren war.
Sie aß an
jenem Morgen nichts zum Frühstück und gönnte dem Manuskript und dem Recorder
keinen Blick, obwohl beide sie stumm vom Tisch her lockten. Statt dessen
duschte sie, zog sich an und ging hinunter in den Laden, wo sie den Morgen mit
Staubwischen verbrachte, auf die verregnete Straße hinausspähte und wünschte,
es mögen Kunden kommen.
Janet rief
am frühen Nachmittag an, um sich zu erkundigen, wie Gloriana allein
zurechtkam. Froh, eine vertraute Stimme zu hören, gestand Gloriana ihr, daß
sie den Laden am Tag zuvor nicht einmal geöffnet hatte. Sie erzählte Janet von
Lyns Besuch, verschwieg jedoch, daß er Professor Steinbeth und eine alte Schrift
aus dem Mittelalter mitgebracht hatte.
Sie hätte
das Thema nicht anschneiden können, ohne in Tränen auszubrechen.
»Ich habe
mein Haar schneiden lassen«, sagte sie statt dessen. Es war eine banale
Feststellung, doch das kümmerte sie nicht. Sie war noch immer sehr
erschüttert, und Konversation zu machen fiel ihr schwer.
»Wirklich?«
Janet klang erfreut. »Ich wette, daß es Ihnen sehr gut steht. Aber Sie klingen
ein bißchen müde, Liebes. Warum schließen Sie nicht den Laden und gehen ins
Kino? Ich bin sicher, daß Lyn Sie gern begleiten würde, falls er nicht gerade
irgendeinen Notfall hat.«
Gloriana
lehnte die Stirn an die Hand. Manchmal war es nicht leicht, zu verstehen, was
Janet meinte, und heute fiel es ihr besonders schwer. Sie hätte eigentlich
wissen müssen, was ein > Kino < war, konnte sich jedoch beim besten Willen
nicht entsinnen. »Ich möchte Lyn nicht belästigen«, erwiderte sie. »Er hat
schon genug für mich getan.«
Janet
seufzte. »Ich habe richtige Gewissensbisse – während ich hier in der warmen
Sonne liege, sitzen alle meine Freunde in diesem gräßlichen Regen.« Sie hielt
kurz inne, um Atem zu holen. »Na ja«, fuhr sie dann fort, »es ist ja nicht so,
als ob sie nicht auch wegkönnten, wenn sie wollten. Es gibt schließlich Flugzeuge,
Busse, Züge und Taxis, nicht?«
Gloriana
stimmte hastig zu, während sie in ihrer Erinnerung nach Bussen, Zügen und
Taxis suchte. Sie hatte gerade die richtigen Bilder heraufbeschworen, als Janet
ihr einen schönen Abend wünschte und sich verabschiedete.
Keine fünf
Minuten später hielt draußen vor dem Laden, wie von der Hand des Schicksals
gelenkt, ein Bus, um eine ganze Horde von Passagieren zu entlassen. Ein jähes,
unwiderstehliches Verlangen, Bus zu fahren, erfaßte Gloriana, und sie stürzte
nach oben, um ihre Jacke, Geld und einen der drei schäbigen Schirme zu holen,
die in einer großen Urne an der Tür standen. Dann stellte sie sich an die Ladentür
und wartete, bis das große Gefährt von neuem auftauchte, fast eine gute Stunde
später. Schnell, bevor sie den Mut verlieren konnte, schloß Gloriana den Laden
ab und hastete über den Bürgersteig, um einzusteigen.
Der Fahrer
nahm die Münze, die sie ihm gab, und wechselte, während zwei Frauen sich an ihr
vorbeidrängten, um auszusteigen. Gloriana setzte sich auf einen leeren Platz,
schaute aus dem Fenster und
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