Linda Lael Miller
gesteuert wurde.«
»Faszinierend«,
meinte Lyn und steckte zwei Scheiben Brot zum Rösten in den Metallkasten.
»Wollen Sie damit sagen, daß Sie sich willentlich von dort nach hier versetzt
haben – oder besser gesagt, von damals nach heute?«
»Ja«,
erwiderte Gloriana und wunderte sich, daß sie das erst jetzt erkannte.
»Noch
irgendwelche anderen Symptome?« fragte Lyn.
»Kopfweh«,
entsann sich Gloriana. Der bloße Gedanke an den furchtbaren Schmerz veranlaßte
sie, ihre Schläfen zu berühren. »Ein so schrecklicher Schmerz, daß ich dachte,
ich müßte sterben.«
Lyn kehrte
an den Herd zurück. Er wirkte sehr nachdenklich, als er die Eier mit Milch
vermischte und den Speck auf ein Stück Küchenpapier legte. Gloriana dachte, daß
sie, falls sie je ins dreizehnte Jahrhundert zurückkehren sollte, die
gesunden, schmackhaften und üppigen Mahlzeiten der modernen Zeit sehr vermissen
würde. »Es ist schon etwas Unfaßbares, das menschliche Gehirn.«
Darin
konnte Gloriana ihm nicht widersprechen. »Aber wenn ich es bewußt herbeigeführt
habe, wieso kann ich dann nicht zurückkehren? Denn das möchte ich lieber als
alles andere auf der Welt.«
Als Lyn das
Brot auf den Tisch stellte, bemühte er sich, seine Trauer zu verbergen. »Ist es
denn so wunderbar, dieses turbulente dreizehnte Jahrhundert?« fragte er. »Man
sollte meinen, es sei ein grimmiger Ort – voller Krankheiten, Kriege, Hunger
und Verbrechen.«
Gloriana
betrachtete ihn nachdenklich. Sie hatte viel ferngesehen und gelesen, seit Lyn
sie drei Wochen zuvor unter seine Fittiche genommen hatte. »Das gleiche könnte
man aber auch von Ihrer Zeit behaupten, nicht? Auch hier gibt es Seuchen und
all die anderen Plagen.«
Lyn
servierte die Eier und nahm sich einen Teller, um Gloriana Gesellschaft beim
Essen zu leisten. »Das ist richtig. Aber hier ist es wenigstens sauberer, und
die Menschen besitzen mehr Rechte.«
»Ja«, gab
Gloriana zu, als sie sich eine großzügige Portion Eier und Speck nahm. Vor
allem den Speck aß sie sehr gern, nicht nur, weil er knusprig und geräuchert
war, sondern vor
allem, weil sie ihn mit den Fingern essen konnte. »Da mögen Sie recht haben.«
»Ich höre
jedoch ein unausgesprochenes > Aber < am Ende Ihres Satzes.«
Gloriana
lächelte. »Sie haben gute Ohren«, meinte sie und erinnerte sich an eine
Geschichte, die ihr Kindermädchen ihr einst vorgelesen hatte, lange vor ihrer ersten
Reise durch die Jahrhunderte.
Lyn
betrachtete sie mit düsterer Miene. »Es ist wegen Kenbrook.«
»Er ist
mein Mann«, erinnerte Gloriana ihn sanft. Sie hatten schon mehrfach über Dane
gesprochen, wobei sie immer klargestellt hatte, daß er ihr Gatte war, heute und
für alle Zeiten.
»Ja«, sagte
Lyn nach ausgedehntem Schweigen. »Er ist Ihr Mann.«
Danach
wurde nicht mehr über Dane gesprochen.
Lyn
verabschiedete sich bald, nachdem das Geschirr gespült war, um Gloriana in Ruhe
weiterlesen zu lassen.
In einer Mischung
aus Furcht und Eifer setzte sie sich mit den letzten Seiten an den Tisch, legte
ein neues Band in den Recorder – Lyn hatte die besprochenen Bänder mitgenommen
– und begann zu lesen.
Danes Tod
fand nur eine kurze, fast oberflächliche Erwähnung. Er hatte seine Frau,
Mariette, und ihre beiden jungen Söhne verlassen, um als Söldner zum Kontinent
zurückzukehren, und war bei einem Schiffsunglück vor der normannischen Küste
umgekommen. Nach Ansicht des Autors hatte Kenbrooks Familie ihn nicht allzu
sehr vermißt, weil er ein verbitterter,unglücklicher Mann gewesen war, der,
wie es hieß, sein Leben lang unter dem Bann der Kenbrook-Hexe gestanden hatte.
Gloriana
war nicht überrascht, daß Danes Leben auf diese Art verlaufen war, und es
erstaunte sie auch nicht, daß die Geschichte ihr die Schuld an seinem Leid gab.
Trotz allem hatte sie jedoch gehofft, daß Kenbrook Frieden und Glück, wenn auch
vielleicht nicht Liebe, in den Armen seiner zweiten Frau gefunden hätte, und es
war eine bittere Enttäuschung für sie, zu erfahren, daß es nicht der Fall
gewesen war.
Die
Vorstellung, daß Dane in der kalten, erbarmungslosen See ertrunken war, war so
erschütternd, daß Gloriana nicht mehr weiterlesen konnte.
Mit einer
müden Bewegung stellte sie den Kassettenrekorder ab und ging zu Bett.
Obwohl sie
fast den ganzen Tag geschlafen hatte, hatte sie keine Schwierigkeiten,
einzuschlafen. Es war schon früher Morgen, als sie – endlich – zu träumen
begann.
Sie stand
auf den zerbrochenen Kacheln des
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