Linkes Ufer: Erzählungen aus Kolyma 2 (German Edition)
Rubel fürs »Lädchen« – er gab fast dieselbe Summe aus wie die Leute mit Geld. Für das »Armenkomitee« bedankte man sich nicht. Das galt als Recht des Arrestanten, als unumstößlicher Gefängnisbrauch.
Lange Zeit, vielleicht über Jahre, ahnte die Gefängnisverwaltung nichts von dieser Organisation – oder sie schenkte den untertänigen Meldungen der Zellendenunzianten und Gefängnisinformanten keine Aufmerksamkeit. Kaum anzunehmen, daß die »Armenkomitees« nicht angezeigt wurden. Die Butyrka-Verwaltung wollte einfach die traurige Erfahrung des erfolglosen Kampfes gegen das berüchtigte »Streichholz«spiel nicht noch einmal machen.
Im Gefängnis sind alle Spiele verboten. Schachspiele, aus Brot modelliert, das die ganze Zelle gekaut hatte, wurden bei Entdeckung durch das wachsame Auge des durchs »Guckloch« spähenden Postens umgehend eingezogen und vernichtet. Der Ausdruck »wachsames Auge« selbst gewann im Gefängnis seinen wahren, keineswegs übertragenen Sinn. Das war das vom »Guckloch« umrahmte aufmerksame Auge des Postens.
Domino, Dame – all das ist strengstens verboten im Untersuchungsgefängnis. Bücher sind nicht verboten, und die Gefängnisbibliothek ist reich, aber der lesende Untersuchungshäftling zieht aus der Lektüre keinerlei anderen Nutzen als die Ablenkung von den eigenen wichtigen und heftigen Sorgen. Sich auf ein Buch zu konzentrieren ist in der Gemeinschaftszelle unmöglich. Die Bücher dienen der Zerstreuung, der Ablenkung, sie ersetzen Domino oder Dame.
In Zellen, wo die Kriminellen einsitzen, wird Karten gespielt – im Butyrka-Gefängnis gibt es keine Karten. Dort gibt es auch keine Spiele außer dem »Streichholzspiel«.
Das ist ein Spiel zu zweit.
In einer Streichholzschachtel sind fünfzig Streichhölzer. Für das Spiel nimmt man dreißig und füllt sie in den senkrecht, hochkant aufgestellten Deckel. Der Deckel wird gerüttelt, hochgenommen, und die Streichhölzer verstreuen sich auf dem Tisch.
Der erste Spieler nimmt mit zwei Fingern ein Streichholz und wirft oder schiebt, indem er dieses wie einen Hebel einsetzt, damit alle Streichhölzer zur Seite, die sich aus dem Haufen herausnehmen lassen, ohne an die anderen zu rühren. Wenn er zwei Streichhölzer gleichzeitig bewegt, ist es vorbei. Dann kommt der zweite an die Reihe – bis zu seinem ersten Fehler.
Das »Streichholzspiel« ist das ganz gewöhnliche Kinder-Mikado, nur vom erfinderischen Häftlingsverstand an die Gefängniszelle angepaßt.
»Streichhölzer« spielte das ganze Gefängnis, vom Frühstück bis zum Mittag- und vom Mittag- bis zum Abendessen, mit Hingabe und Leidenschaft.
Es gab echte Streichholzchampions, man legte Sammlungen an von Streichhölzern besonderer Qualität – blankpoliert vom ständigen Gebrauch. Solche Streichhölzer wurden nicht zum Papirossa-Anstecken angezündet.
Dieses Spiel erhielt den Arrestanten viel Nervenkraft, es brachte einen gewissen Frieden in ihre unruhigen Seelen.
Die Verwaltung war außerstande, dieses Spiel zu unterbinden, es zu verbieten. Streichhölzer waren ja erlaubt. Sie wurden auch (einzeln) ausgegeben und im Laden verkauft.
Die Kommandanten der Gebäudeblöcke probierten die Schachteln kaputtzumachen, aber man kam ja im Spiel auch ohne Schachtel aus.
Die Verwaltung blamierte sich in diesem Kampf gegen das Mikadospiel – all ihre Einsprüche führten zu nichts Gescheitem. Das ganze Gefängnis spielte weiter das »Streichholzspiel«.
Und aus demselben Grund, aus Angst vor Blamage, drückte die Verwaltung auch bei den »Armenkomitees« ein Auge zu – sie wollte sich nicht verstricken in einen ruhmlosen Kampf.
Doch leider kroch das Gerücht von den »Armenkomitees« immer höher, immer weiter und erreichte die Institution, von wo auch der gebieterische Befehl erging, die »Armenkomitees« zu liquidieren – deren bloßer Name schon wie ein Aufruf, eine Art Appell an das revolutionäre Gewissen klang.
Wie viele Belehrungen wurden ausgesprochen bei den Überprüfungen! Wie viele gesetzwidrige Papierchen mit chiffrierter Aufstellung der Ausgaben und Bestellungen wurden bei überraschenden Zellendurchsuchungen mitgenommen! Wie viele Älteste saßen im Polizei- und im Pugatschow-Turm, wo es Karzer und Strafzellen gab!
Alles war umsonst: die »Armenkomitees« existierten trotz aller Warnungen und Sanktionen.
Zu kontrollieren war wirklich sehr schwer. Außerdem hat der Gebäudekommandant, der Aufseher, der schon lange im Gefängnis arbeitet, ein etwas
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