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Linkes Ufer: Erzählungen aus Kolyma 2 (German Edition)

Linkes Ufer: Erzählungen aus Kolyma 2 (German Edition)

Titel: Linkes Ufer: Erzählungen aus Kolyma 2 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Warlam Schalamow
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»Lädchen« zu nutzen. Er kann völlig selbständig sein eigenes Geld ausgeben und kaufen, was er will.
    Woher aber kommt dieses Geld?
    Und hier lebt ein berühmtes Wort aus den Zeiten des Kriegskommunismus, aus den ersten Jahren nach der Revolution wieder auf. Dieses Wort ist
»kombedy«
, die Armenkomitees. Ein Unbekannter hat diesen Ausdruck in der Gefängniszelle fallenlassen, und das Wort hat sich auf erstaunliche Weise eingebürgert, Fuß gefaßt, es kroch von Zelle zu Zelle – durch Klopfzeichen, eine im Badehaus irgendwo unter einer Bank versteckte Notiz, und noch einfacher: bei der Verlegung von einem ins andere Gefängnis.
    Das Butyrka-Gefängnis ist berühmt für seine vorbildliche Ordnung. Ein riesiges Gefängnis mit zwölftausend Plätzen bei ununterbrochener Bewegung seiner fluktuierenden Bewohnerschaft rund um die Uhr: jeden Tag wird mit Gefängnis-Linienbussen in die Lubjanka und aus der Lubjanka zum Verhör, zu Gegenüberstellungen, zum Gericht gefahren, in andere Gefängnisse verlegt ...
    Intern setzt die Gefängnisverwaltung Untersuchungshäftlinge bei »Zellen«vergehen in den Polizei-, den Pugatschow- und den Nördlichen und den Südlichen Turm – dort gibt es besondere »Straf«zellen. Es gibt auch ein Karzergebäude, in dessen Zellen man nicht liegen und nur im Sitzen schlafen kann.
    Ein Fünftel der Zellenbewohner wird täglich irgendwohin gebracht: ob ins Photoatelier, wo ordentlich aufgenommen wird, en face und im Profil, und die Nummer ist am Vorhang befestigt, vor dem der Häftling sitzt; ob zum »Klavierspielen« – die Prozedur der Daktyloskopie ist obligatorisch und galt aus irgendeinem Grund niemals als beleidigende Prozedur; oder zum Verhör, ins Verhörgebäude, über die endlosen Korridore des gigantischen Gefängnisses, wo der Begleiter an jeder Biegung mit dem Schlüssel an die Kupferschnalle seines Gürtels schlägt und das Kommen eines »geheimen Häftlings« anzeigt. Und bis nicht irgendwo in die Hände geklatscht wird (in der Lubjanka klatscht man als Antwort auf ein Fingerschnalzen anstelle von Schlüsselrasseln), läßt der Begleiter den Häftling nicht weitergehen.
    Die Bewegung ist unaufhörlich, unendlich – die Eingangstore schließen sich nie für lange –, und es kam niemals vor, daß Leute aus demselben Verfahren gemeinsam in einer Zelle saßen.
    Ein Häftling, der die Schwelle des Gefängnisses überschritten, es auch nur für eine Sekunde verlassen hat, kommt, falls sein Ausflug plötzlich abgesagt wird, ohne Desinfektion sämtlicher Sachen nicht wieder hinein. So ist die Ordnung, das Gesundheitsgesetz. Wer oft zu Verhören in die Lubjanka gebracht wurde, dessen Kleidung war bald verschlissen. Im Gefängnis trägt sich die Oberbekleidung sowieso viel schneller ab als in Freiheit – man schläft in den Kleidern, wendet sich auf den Bretterplatten, die auf den Pritschen liegen. Und diese Platten zusammen mit den häufigen energischen »Läusevernichtungen« – den »Hitzekammern«, zerstören schnell die Kleidung jedes Untersuchungshäftlings.
    Doch wie streng die Kontrolle auch sei, »der Gefängniswärter denkt nicht so oft an seine Schlüssel wie der Häftling an die Flucht« – so der Autor der »Kartause von Parma«.
    Die »Armenkomitees« entstanden spontan, als Selbsthilfe der Häftlinge, als kameradschaftliche gegenseitige Unterstützung. Irgend jemand erinnerte sich bei entsprechender Gelegenheit eben an die »Armenkomitees«. Und wer weiß – vielleicht war dieser Mensch, der einem alten Terminus einen neuen Inhalt gab, selbst in den ersten Jahren der Revolution an den echten russischen Komitees der Dorfarmut beteiligt gewesen? Komitees der gegenseitigen Hilfe – das waren die Gefängnis-»Armenkomitees«.
    Die Organisation der »Armenkomitees« lief auf die einfachste Art der kameradschaftlichen Hilfe hinaus. Bei der Bestellung im »Lädchen« mußte jeder, der sich Lebensmittel bestellte, zehn Prozent an das »Armenkomitee« abführen. Die gesamte Geldsumme wurde auf alle Mittellosen der Zelle verteilt – jeder von ihnen bekam das Recht auf selbständige Bestellung von Lebensmitteln aus dem »Lädchen«.
    In einer Zelle mit siebzig, achtzig Personen waren immer sieben oder acht ohne Geld. Meist war es so, daß Geld kam und der Schuldner versuchte, den Kameraden das Erhaltene zurückzugeben, aber das war nicht Pflicht. Er führte einfach seinerseits die zehn Prozent ab, wenn er konnte.
    Über die »Armenkomitees« bekam jeder Arme zehn, zwölf

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