Linkes Ufer: Erzählungen aus Kolyma 2 (German Edition)
Körperzelle sang freudig und fürchtete sich vor nichts, glaubte an den Erfolg. Jetzt ist Kononenko im Krankenhaus. Er befindet sich im Krankenhaus »stadium« seiner unheilvollen Verwandlungen. Morgen, vielleicht auch übermorgen ist nach Kononenkos bekanntem Programm der nächste Mord an der Reihe. Sind nicht alle Anstrengungen Golubews umsonst gewesen – die Operation, die schreckliche Willensanspannung? Ihn, Golubew, wird Kononenko jetzt als sein nächstes Opfer erdrosseln. Vielleicht ist es falsch gewesen, den Abtransport ins
katorga
-Lager abzuwenden, wo man ein »Karo-As« angeheftet bekommt – sie heften einem eine fünfstellige Nummer auf den Rücken und geben gestreifte Kleidung aus. Doch dafür wird man dort nicht geschlagen und das »Fett« wird einem nicht geklaut. Dafür gibt es dort die vielen Kononenkos nicht.
Golubews Bett stand am Fenster. Ihm gegenüber lag Kononenko. Und an der Tür, Fuß an Fuß mit Golubew, lag der Dritte. Das Gesicht des Dritten sah Golubew gut, er brauchte sich nicht umzudrehen, um dieses Gesicht zu sehen. Auch diesen Kranken kannte Golubew Das war Podossenow, ein Dauerbewohner des Krankenhauses.
Die Tür ging auf, und der Feldscher mit den Medikamenten trat ein.
»Kasakow!«, rief er.
»Hier!«, rief Kononenko und stand auf.
»Ein Briefchen für dich«, und gab ihm einen mehrfach gefalteten Zettel.
»Kasakow?«, hämmerte es unaufhaltsam in Golubews Hirn. Aber das ist doch nicht Kasakow, sondern Kononenko. Und plötzlich begriff Golubew, und auf seinem Körper trat der kalte Schweiß aus.
Alles erwies sich als viel schlimmer. Keiner der drei hatte sich geirrt. Das war Kononenko – »ein Zwieback«, wie die Ganoven sagen, der einen fremden Namen angenommen hat und unter diesem fremden Namen, Kasakows Namen, mit Kasakows Artikeln, »unter falscher Flagge« ins Krankenhaus gelegt wurde. Das ist noch schlimmer, noch gefährlicher. Wenn Kononenko nur Kononenko ist, dann kann sein Opfer Golubew sein oder auch nicht Golubew Da gibt es noch eine Auswahl, einen Zufall, eine Möglichkeit der Rettung. Wenn aber Kononenko Kasakow ist, dann gibt es für Golubew keine Rettung. Wenn Kononenko nur Verdacht schöpft, wird Golubew sterben.
»Was ist, hast du mich schon mal gesehen? Was schaust du mich an, wie die Schlange das Kaninchen? Oder das Kaninchen die Schlange? Wie heißt das richtig bei euch, auf gelehrt?«
Kononenko saß auf einem Hocker vor Golubews Bett, mit seinen harten großen Fingern zerkrümelte er das Briefchen und streute die Papierkrümel auf Golubews Decke.
»Noch nie«, krächzte Golubew und erbleichte.
»Na, das ist gut, noch nie«, sagte Kononenko und nahm das Handtuch vom Nagel, der über dem Bett in die Wand geschlagen war, und schüttelte es vor Golubews Gesicht. »Gestern wollte ich schon diesen ›Doktor‹ da hinten strangulieren«, er wies mit dem Kopf auf Podossenow, auf dessen Gesicht sich maßloses Entsetzen spiegelte. »Was der da macht, der Schuft«, sagte Kononenko fröhlich und zeigte mit dem Handtuch Richtung Podossenow. »In den Urin – das Gläschen steht hier unter dem Bett – mischt er sein eigenes Blut ... Ritzt sich den Finger und gibt einen Tropfen Blut in den Urin. Kennt sich aus. Nicht schlechter als die Doktoren. Das Ergebnis der Laboranalyse – Blut im Urin. Unser ›Doktor‹ bleibt hier. Na, sag, verdient es so ein Mensch, auf der Welt zu leben, oder nicht?«
»Ich weiß nicht«, sagte Golubew
»Du weißt nicht? Du weißt wohl. Und gestern haben sie dich gebracht. Du warst mit mir im Durchgangslager, oder? Vor meinem damaligen Gerichtsverfahren. Damals lief ich als Kononenko ...«
»Nie im Leben habe ich dich gesehen«, sagte Golubew.
»Doch, hast du. Und ich habe mich entschlossen. Statt den ›Doktor‹ – bringe ich dich um die Ecke. Welche Schuld hat er?«, Kononenko zeigte auf Podossenows bleiches Gesicht, in das langsam, ganz langsam das Blut stieg, zurückkehrte. »Welche Schuld hat er, er rettet sein Leben. Wie du. Oder zum Beispiel ich ...«
Kononenko lief durchs Zimmer und warf die Papierkrümel der Notiz von einer Hand in die andere.
»Und ich würde dich um die Ecke bringen, auf den Mond schießen, und die Hand würde mir nicht zittern. Aber der Feldscher hat mir ein Briefchen gebracht, verstehst du ... Ich muß mich schnell davonmachen. Die
suki
stechen die Unsrigen ab in der Mine. Alle Diebe, die im Krankenhaus sind, wurden zu Hilfe gerufen. Du kennst unser Leben nicht ... Du,
frajer
du!«
Golubew
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