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Linkes Ufer: Erzählungen aus Kolyma 2 (German Edition)

Linkes Ufer: Erzählungen aus Kolyma 2 (German Edition)

Titel: Linkes Ufer: Erzählungen aus Kolyma 2 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Warlam Schalamow
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schwieg. Er kannte dieses Leben. Als
frajer
natürlich, von außen.
    Nach dem Mittagessen wurde Kononenko entlassen, und er verschwand für immer aus Golubews Leben.
    Während das dritte Bett leerstand, kam Podossenow zu Golubew ans Bett und setzte sich an seine Füße – er flüsterte:
    »Kasakow bringt uns ganz bestimmt um, bringt uns beide um. Das müssen wir der Leitung sagen ...«
    »Geh zum Leibhaftigen«, sagte Golubew.
    1964

Mein Prozeß
    Unsere Brigade wurde von FJODOROW persönlich besucht. Wie immer, wenn die Leitung nahte, drehten sich die Räder der Schubkarren schneller, wurden die Schläge mit der Hacke lebhafter und lauter. Übrigens, ein wenig schneller, ein wenig lauter – hier arbeiteten alte Lagerwölfe, jegliche Leitung war ihnen schnuppe, und sie hatten auch nicht die Kräfte. Die Steigerung des Arbeitstempos war nur der feige Tribut an die Tradition und vielleicht auch Achtung für den Brigadier – der wäre der Verschwörung beschuldigt, von seiner Arbeitsstelle entlassen und verurteilt worden, wenn seine Brigade die Arbeit eingestellt hätte. Der ohnmächtige Wunsch, einen Anlaß für eine Ruhepause zu finden, wäre als Demonstration, als Protest verstanden worden. Die Räder der Schubkarren drehten sich schneller, aber mehr aus Höflichkeit denn aus Angst.
    FJODOROW, dessen Name Dutzende entzündete, von Wind und Hunger gesprungene Lippen wiederholten, war Bevollmächtigter der Kreisabteilung im Bergwerk. Er näherte sich der Grube, in der unsere Brigade arbeitete.
    ____
    Es gibt wenige so ausdrucksvolle Szenen wie die vom Alkohol rotgesichtigen, überernährten, plumpen, fettbeschwerten Figuren der Lagerleitung in sonnengleich glänzenden, nagelneuen, riechenden Schafshalbpelzen, mit bemalten Jakuten-
Malachaj
-Fellmützen und Stulpenhandschuhen mit buntem Muster – neben den Figuren der
dochodjagi
, der abgerissenen »Dochte« , denen der »Rauch« der Wattefetzen aus den abgetragenen Wattejacken hängt, all der
dochodjagi
mit denselben schmutzigen knochigen Gesichtern und dem hungrigen Glanz in den eingefallenen Augen. Kompositionen eben dieser Art gab es tagtäglich, allstündlich zu sehen – in den Etappenwaggons »Moskau – Wladiwostok« wie in den zerrissenen Lagerzelten aus einfachem Segeltuch, in denen die Häftlinge am Kältepol überwinterten, ohne sich auszuziehen, ohne sich zu waschen, in denen die Haare an den Zeltwänden anfroren und man sich nicht wärmen konnte. Die Zeltdächer waren zerrissen – während der nahen Sprengungen in den Gruben fielen manchmal Steine ins Zelt, und ein großer Stein ist dann auch für immer im Zelt geblieben, man saß und aß darauf, teilte das Brot ...
    FJODOROW bewegte sich ohne Eile durch die Grube. Mit ihm kamen noch weitere Leute in Halbpelzen – wer sie waren, war mir zu wissen versagt.
    Es war Frühlingszeit, eine unangenehme Zeit, wo überall das Eiswasser austrat, aber die Sommer
tschuni
aus Gummi noch nicht ausgegeben wurden. Alle hatten Winterschuhwerk an den Füßen, Stoff
burki aus
alten gesteppten Wattehosen mit einer Sohle aus demselben Material, die nach den ersten zehn Minuten Arbeit durchnäßt waren. Die Zehen, erfroren und blutend, wurden unerträglich kalt. In den
tschuni
war es die ersten Wochen nicht besser – das Gummi leitete die Kälte des Dauerfrostbodens gut, und man wußte nicht wohin vor ziehenden Schmerzen.
    FJODOROW spazierte durchs Bergwerk, fragte etwas, und unser Brigadier, ehrerbietig gekrümmt, trug ihm etwas vor. FJODOROW gähnte, und seine goldenen, gut reparierten Zähne spiegelten die Sonnenstrahlen. Die Sonne stand schon hoch – wahrscheinlich unternahm FJODOROW den Spaziergang nach
nächtlicher Arbeit
. Er fragte wieder etwas.
    Der Brigadier rief mir zu – ich hatte gerade eine leere Schubkarre nach Art des erfahrenen Karrenschiebers herangerollt, die Schubkarrengriffe nach oben, damit die Arme ausruhen, und die umgekippte Schubkarre mit dem Rad voraus – und ging zu meinem Chef.
    »Und du bist Schalamow?«, fragte FJODOROW.
    Am Abend wurde ich verhaftet.
    Es wurde Sommerbekleidung ausgegeben, Feldbluse, Baumwollhosen, Fußlappen,
tschuni
– es war einer der wichtigen Tage des Jahres im Leben des Häftlings. An einem anderen, noch wichtigeren Tag im Herbst wurde die Winterkleidung ausgegeben. Sie gaben, wie es kam – das Anpassen nach Größen und Wuchs passierte schon in der Baracke, später.
    Ich war an der Reihe, und der Wirtschaftsleiter sagte:
    »Fjodorow ruft dich. Wenn du von ihm

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