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Linkes Ufer: Erzählungen aus Kolyma 2 (German Edition)

Linkes Ufer: Erzählungen aus Kolyma 2 (German Edition)

Titel: Linkes Ufer: Erzählungen aus Kolyma 2 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Warlam Schalamow
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werfen. Zum »Ausrücken bis auf den Letzten« setzte man an anderen Stellen gewöhnlich Hunde ein. Die Hunde von Dshelgala waren am Ausrücken nicht beteiligt.
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    Es war Frühling, und im Karzer zu sitzen war gar nicht so schlecht. Ich kannte damals den in den Fels, in den Dauerfrostboden gehauenen Karzer von Kadyktschan wie auch den Isolator im Bergwerk »Partisan«, wo die Aufseher absichtlich alles Moos herausgezupft hatten, das als Dichtung zwischen den Balken diente. Ich kannte den aus Winterlärche gezimmerten, vereisten, dampfenden Karzer der Mine »Spokojnyj« und den Karzer am Schwarzen See, wo statt des Fußbodens Eiswasser war und statt einer Pritsche eine schmale Bank. Meine Häftlingserfahrung war groß – ich konnte auch auf der schmalen Bank schlafen, träumte und fiel nicht ins eisige Wasser.
    Die Lagerethik erlaubt die »Tufta«, das Betrügen der Leitung bei der Arbeit – bei den Vermessungen, den Berechnungen, in der Qualität der Ausführung. Bei jeder Zimmermannsarbeit kann man murksen, betrügen. Nur bei einem sollte man gewissenhaft sein – beim Bauen des Lagerisolators. Die Baracke für die Leitung kann schlampig gezimmert, doch das Gefängnis für die Häftlinge muß warm und solide sein. »Wir werden ja selber drin sitzen.« Und obwohl diese Tradition vor allem von den Ganoven kultiviert wird – einen rationalen Kern hat dieser Rat doch. Aber das ist Theorie. In der Praxis herrschen Keil und Moos überall, und der Lagerisolator ist keine Ausnahme.
    Der Karzer in Dshelgala war von besonderer Bauweise – ohne Fenster, und erinnerte lebhaft an die bekannten »Kisten« des Butyrka-Gefängnisses. Ein Spalt in der Tür, die auf den Korridor ging, ersetzte das Fenster. Hier saß ich einen Monat auf Karzerration – dreihundert Gramm Brot und ein Becher Wasser. Zweimal in diesem Monat schob mir der Karzer-Gehilfe eine Schüssel Suppe zu.
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    Ein parfümiertes Taschentuch vor dem Gesicht, geruhte der Untersuchungsführer Fjodorow mit mir zu sprechen.
    »Wollen Sie nicht eine Zeitung – sehen Sie, die Komintern ist aufgelöst. Das wird Sie interessieren.«
    Nein, mich interessierte das nicht. Geraucht hätte ich gern.
    »Entschuldigen Sie. Ich bin Nichtraucher. Sehen Sie – man wirft Ihnen vor, Hitlers Waffen zu loben.«
    »Was bedeutet das?«
    »Nun, daß Sie sich zustimmend zur Offensive der Deutschen geäußert haben.«
    »Ich weiß davon fast nichts. Ich habe viele Jahre keine Zeitung gesehen. Sechs Jahre.«
    »Nun, das ist nicht das Allerwichtigste. Sie haben einmal gesagt, die Stachanowbewegung im Lager sei Betrug und Lüge.«
    Im Lager gab es drei Arten von Rationen, der »Kesselverpflegung« für Häftlinge: die Stachanow-, die Bestarbeiter- und die Produktionsration – neben der Straf-, der Untersuchungs- und der Etappenration. Die Rationen unterschieden sich in der Menge an Brot und der Qualität der Speisen. Im benachbarten Bergwerk hatte der Grubenaufseher jedem Häftling eine Strecke – ein Tagwerk – ausgemessen und am Ende eine Machorka-Papirossa befestigt. Transportierst du den Grund bis zum Zeichen ab, gehört die Papirossa dir, Stachanowarbeiter.
    »So ist das gewesen«, sagte ich. »Das ist eine Ungeheuerlichkeit, meine ich.«
    »Dann haben Sie gesagt, daß Bunin ein großer russischer Schriftsteller ist.«
    »Er ist wirklich ein großer russischer Schriftsteller. Kann man mir dafür, daß ich das gesagt habe, eine Haftzeit geben?«
    »Man kann. Er ist Emigrant. Ein feindlicher Emigrant.«
    Das »Verfahren« kam in Schwung. Fjodorow war fröhlich und munter.
    »Sehen Sie doch, wie wir mit Ihnen umgehen. Nicht ein grobes Wort. Beachten Sie – niemand schlägt Sie, wie im Jahr achtunddreißig. Keinerlei Druck.«
    »Und dreihundert Gramm Brot am Tag?«
    »Befehl, mein Lieber, Befehl. Ich kann nichts machen. Befehl. Untersuchungsverpflegung.«
    »Und die fensterlose Zelle? Ich werde doch blind und bekomme keine Luft.«
    »Wieso denn fensterlos? Das kann nicht sein. Von irgendwo kommt Licht herein.«
    »Durch die Türritze unten.«
    »Na also, na also.«
    »Im Winter wäre sie vom Dampf verdeckt.«
    »Aber jetzt ist ja nicht Winter.«
    »Das ist auch wahr. Jetzt ist nicht mehr Winter.«
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    »Hören Sie«, sagte ich. »Ich bin krank. Entkräftet. Ich habe mich viele Male an die Sanitätsstelle gewandt, aber nie hat man mich von der Arbeit freigestellt.«
    »Machen Sie eine Eingabe. Das wird für das Gerichtsverfahren und die Untersuchung von Bedeutung sein.«
    Ich

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