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Linkes Ufer: Erzählungen aus Kolyma 2 (German Edition)

Linkes Ufer: Erzählungen aus Kolyma 2 (German Edition)

Titel: Linkes Ufer: Erzählungen aus Kolyma 2 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Warlam Schalamow
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Löffel, fischte ein Klößchen aus der dampfenden Schüssel und leckte daran.
    »Nein, ich mag nicht, es schmeckt nicht.«
    Gegen Abend war er tot.
    Der zweite Kranke mit Sonderbestellung war Wiktorow, mit Verdacht auf Magenkrebs. Er bekam einen ganzen Monat die Sonderbestellung, und die Kranken ärgerten sich, daß er nicht starb – man sollte die kostbare Ration jemand anderem geben. Wiktorow aß nichts und starb schließlich. Krebs wurde bei ihm nicht festgestellt, es war die ganz gewöhnliche Auszehrung – Ernährungsdystrophie.
    Als für den Ingenieur Demidow, einen Kranken nach einer Mastoiditis-Operation, eine Sonderbestellung aufgegeben wurde, weigerte er sich:
    »Ich bin nicht der schwerste Fall im Zimmer.« Er weigerte sich kategorisch, und nicht, weil die Sonderbestellung etwas Schreckliches war. Nein, Demidow fand sich nicht berechtigt, eine Ration zu erhalten, die anderen Kranken zugute kommen könnte. Die Ärzte hatten Demidow auf offiziellem Weg Gutes tun wollen.
    Das also war die Sonderbestellung.

Das letzte Gefecht des Majors Pugatschow
    Seit dem Anfang und Ende dieser Ereignisse ist wahrscheinlich viel Zeit vergangen – denn im Hohen Norden zählen Monate wie Jahre, so groß ist die Erfahrung, die menschliche Erfahrung, die man dort erwirbt. Das gesteht auch der Staat ein, wenn er den Arbeitskräften des Nordens die Gehälter heraufsetzt und die Vergünstigungen vervielfacht. In diesem Land der Hoffnungen und also Land der Gerüchte, Ahnungen, Mutmaßungen und Hypothesen umwächst jedes Ereignis schneller mit einer Legende, als der Eil-Kurier den Bericht oder Rapport des örtlichen Chefs über dieses Ereignis in irgendwelche »höchsten Sphären« zustellen konnte.
    Jetzt wurde erzählt: Als sich ein hoher Chef auf der Durchreise beklagte, daß die Kulturarbeit im Lager auf beiden Beinen hinke, sagte der Kulturorganisator Major Pugatschow dem Gast:
    »Seien Sie unbesorgt, Bürger Natschalnik, wir bereiten eine Veranstaltung vor, daß die ganze Kolyma davon sprechen wird.«
    Man kann die Erzählung direkt mit dem Bericht des Chirurgen Braude beginnen, der aus dem Zentralkrankenhaus ins Gebiet der Kriegshandlungen abkommandiert wurde.
    Man kann auch mit dem Brief von Jaschka Kutschen beginnen, eines Häftlings und Sanitäters, der im Krankenhaus lag. Sein Brief war mit der linken Hand geschrieben – Kutschens rechte Schulter war von einer Gewehrkugel durchschossen worden.
    Oder mit der Erzählung von Doktor Potanina, die nichts gesehen und nichts gehört hatte und auf Reisen war, als es zu den unerwarteten Ereignissen kam. Ebendiese Reise stufte der Untersuchungsführer als »falsches Alibi« ein, als strafbare Unterlassung oder wie das sonst in der Sprache der Juristen heißt.
    Die Verhaftungen der dreißiger Jahre waren Verhaftungen von zufälligen Leuten. Das waren Opfer der falschen und fürchterlichen Theorie, nach der sich der Klassenkampf mit dem erstarkenden Sozialismus verschärft. Die Professoren, Parteiarbeiter, Militärs, Ingenieure, Bauern und Arbeiter, die die Gefängnisse jener Zeit überfüllten, hatten eigentlich weiter nichts vorzuweisen als vielleicht persönliche Anständigkeit, möglicherweise Naivität – kurz, Eigenschaften, die die ahndende Arbeit der damaligen »Justiz« eher erleichterten als erschwerten. Das Fehlen einer einheitlichen verbindenden Idee schwächte die Moral der Häftlinge außerordentlich. Sie waren weder Gegner der Macht noch Staatsverbrecher und starben, ohne überhaupt zu begreifen, warum sie sterben mußten. Ihr Ehrgefühl und ihre Erbitterung konnten sich auf nichts stützen. Und sie starben isoliert in der weißen Wüste der Kolyma – am Hunger, der Kälte, der vielstündigen Arbeit, an Schlägen und Krankheiten. Sie hatten sofort gelernt, nicht füreinander einzutreten, einander nicht zu unterstützen. Das hatte die Leitung auch angestrebt. Die Seelen der am Leben Gebliebenen waren vollständig zerstört, und ihren Körpern fehlten die für die physische Arbeit nötigen Eigenschaften.
    Zu ihrer Ablösung kamen nach dem Krieg Dampfer um Dampfer die Repatrianten – aus Italien, Frankreich und Deutschland geradewegs in den Hohen Nordosten.
    Hier gab es viele Menschen mit anderen Fertigkeiten, mit im Krieg erworbenen Gewohnheiten – Menschen mit Mut und Risikofreude, die nur auf die Waffe vertrauten. Kommandeure und Soldaten, Flieger und Aufklärer ...
    Die Lagerverwaltung, an die Engelsgeduld und Sklavendemut der »Trotzkisten« gewöhnt, machte

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