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Linkes Ufer: Erzählungen aus Kolyma 2 (German Edition)

Linkes Ufer: Erzählungen aus Kolyma 2 (German Edition)

Titel: Linkes Ufer: Erzählungen aus Kolyma 2 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Warlam Schalamow
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auf den Berg steigen.«
    »Sie könnten bei mir wohnen. Immerhin alte Freunde.«
    »Ja«, sagte ich. »Leben Sie wohl.« Ich knöpfte den Halbpelz zu, nahm den Koffer und wollte schon nach der Türklinke greifen. »Leben Sie wohl.«
    »Und das Geld?«, sagte Skorossejew.
    »Welches Geld?«
    »Für das Bett, für die Übernachtung. Das war ja nicht umsonst.«
    »Verzeihen Sie«, sagte ich. »Daran habe ich nicht gedacht.« Ich stellte den Koffer hin, knöpfte den Halbpelz auf, suchte in den Taschen nach Geld, zahlte und ging hinaus in den weißgelben Nebel des Tages.
    1965

Die Sonderbestellung
    Nach 1938 hatte Pawlow einen Orden erhalten und die Ernennung – zum Volkskommissar des Inneren der Tatarischen Republik. Der Weg war gewiesen – ganze Brigaden standen beim Gräberausheben. Die Gicht und die Ganoven, die Begleitposten und die Ernährungsdystrophie bemühten sich nach Kräften. Die verspätete Einmischung der Medizin rettete, wen oder, besser, was sie konnte – die geretteten Menschen hörten für immer auf, Menschen zu sein. In Dshelgala gingen damals von dreitausend gelisteten Personen ganze achtundneunzig zur Arbeit – die übrigen waren von der Arbeit befreit oder wurden in den unendlichen »Genesungspunkten« und »Genesungskommandos« bzw als vorübergehend befreit geführt.
    In den großen Krankenhäusern wurde eine Verbesserung der Verpflegung eingeführt, und Trauts Wort, »für den Erfolg der Behandlung müssen die Kranken ernährt und gewaschen werden«, war sehr populär. In den großen Krankenhäusern wurde Diät-Verpflegung eingeführt – verschiedene unterschiedliche »Kost«. Zwar war in den Lebensmitteln wenig Abwechslung, und oft unterschied sich eine Kost kaum von der anderen, aber dennoch ...
    Der Krankenhausverwaltung wurde erlaubt, für besonders schwer Kranke eine Sonderbestellung aufzugeben, ausserhalb des Krankenhausspeiseplans. Das Kontingent dieser Sonderbestellungen war gering – eine, zwei auf dreihundert Krankenbetten.
    Das Unglück war nur: der Kranke, für den eine Sonderbestellung aufgegeben wurde – Plinsen, Fleischbuletten oder sonst etwas ebenso Märchenhaftes –, war schon in einem Zustand, daß er nichts essen konnte, vom einen oder anderen Gericht vom Löffel probierte und in seiner Todeserschöpfung den Kopf wegdrehte.
    Traditionell durfte der Bettnachbar oder jener Kranke, der sich freiwillig um die Schwerkranken kümmert und dem Sanitäter hilft, diese königlichen Reste aufessen.
    Das war ein Paradox, die Antithese der dialektischen Triade. Die Sonderbestellung wurde gestattet, wenn der Kranke schon nicht mehr imstande war, irgend etwas zu essen. Das einzig mögliche, der Praxis der Sonderbestellungen zugrunde liegende Prinzip lautete so: für den Ausgezehrtesten, für den schwersten Fall.
    Darum wurde die Aufgabe einer Sonderbestellung zum schlechten Vorzeichen, zum Symbol des nahenden Todes. Die Kranken hätten Angst gehabt vor den Sonderbestellungen, doch das Bewußtsein der Empfänger war in diesem Moment schon verdunkelt, und den Schrecken empfanden nicht sie, sondern die Bezieher der ersten Stufe der Diätkost, die noch bei Verstand und Sinnen waren.
    Jeden Tag stand der Leiter der Krankenhausabteilung vor dieser unangenehmen Frage, auf die jede Antwort unredlich aussah – für wen heute die Sonderbestellung aufgeben?
    Neben mir lag ein junger, zwanzigjähriger Bengel, der an Ernährungsdystrophie starb, in jenen Jahren bezeichnete man sie als Polyavitaminose.
    Die Sonderbestellung wurde zu jenem Gericht, das der zum Tode Verurteilte am Tag seiner Hinrichtung bestellen darf, zum letzten Wunsch, den die Gefängnisverwaltung erfüllen muß.
    Der Junge verweigerte das Essen – Hafersuppe, Graupensuppe, Haferbrei, Graupenbrei. Als er den Griesbrei verweigerte, gab man ihm die Sonderbestellung.
    »Alles, Mischa, verstehst du, alles was du willst, wird für dich gekocht. Verstehst du?« Der Arzt saß am Bett des Kranken.
    Mischa lächelte schwach und glücklich.
    »Na, was möchtest du? Fleischsuppe?«
    »Nein ...«, Mischa schüttelte den Kopf.
    »Fleischbuletten? Piroggen mit Fleisch? Pfannkuchen mit Konfitüre?«
    Mischa schüttelte den Kopf.
    »Na, sag selbst, sag ...«
    Mischa krächzte etwas.
    »Was? Was hast du gesagt?«
    »Mehlklößchen.«
    »Mehlklößchen?«
    Mischa nickte bestätigend und ließ sich lächelnd ins Kissen sinken. Aus dem Kissen rieselte Strohmulm.
    Am folgenden Tag wurden »Mehlklößchen« gekocht.
    Mischa lebte auf, nahm den

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