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Linkes Ufer: Erzählungen aus Kolyma 2 (German Edition)

Linkes Ufer: Erzählungen aus Kolyma 2 (German Edition)

Titel: Linkes Ufer: Erzählungen aus Kolyma 2 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Warlam Schalamow
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zog seine Kleider an. Waffe und Uniform hatten die beiden Verschwörer schon. Alles lief nach Programm, nach dem Plan von Major Pugatschow Überraschend erschien auf der Wache die Frau des zweiten Aufsehers – ebenfalls die Schlüssel holen, die ihr Mann durch Zufall mitgenommen hatte.
    »Die Alte erwürgen wir nicht«, sagte Soldatow. Und sie fesselten sie, stopften ihr ein Handtuch in den Mund und legten sie in die Ecke.
    Eine Brigade kam von der Arbeit zurück. Auf diesen Fall hatte man sich eingestellt. Als der Begleitposten die Wache betrat, wurde er sofort von den beiden »Aufsehern« entwaffnet und gefesselt. Das Gewehr fiel den Flüchtigen in die Hände. Von diesem Moment an übernahm Major Pugatschow das Kommando.
    Der Platz vor dem Tor wurde von zwei Eckwachtürmen gesichert, wo Posten standen. Die Posten hatten nichts Außergewöhnliches gesehen.
    Etwas verfrüht trat eine Brigade zur Arbeit an, aber wer kann im Norden sagen, was früh oder spät ist. Es schien etwas verfrüht. Aber vielleicht auch etwas verspätet.
    Die Brigade, zehn Mann, machte sich in Zweierreihen auf den Weg in die Gruben. Vorn und hinten, in sechs Meter Abstand vom Gefangenenverband, gingen vorschriftsgemäß Begleitposten in Militärmänteln, einer von ihnen mit einem Gewehr in der Hand.
    Der Posten sah vom Wachturm, daß die Brigade von der Straße in den Pfad einbog, der am Gebäude der Wachabteilung vorbeiführte. Dort wohnten die Soldaten des Postendienstes – die gesamte Truppe von sechzig Mann.
    Der Schlafraum der Begleitposten war hinten, und direkt an der Tür waren der Raum des Diensthabenden und die Gewehrständer. Der Wachhabende döste am Tisch und sah im Halbschlaf, daß ein Begleitposten eine Häftlingsbrigade am Fenster der Wache vorbeiführte.
    »Das ist sicher Tschernenko«, dachte der Wachhabende, der den Begleitposten nicht erkannte. »Ich schreibe unbedingt einen Rapport über ihn.« Der Wachhabende war ein Meister der Intrige und würde keine Gelegenheit auslassen, jemandem auf gesetzlicher Grundlage eins auszuwischen.
    Das war sein letzter Gedanke. Die Tür flog auf, und drei Soldaten rannten in die Kaserne. Zwei stürmten zur Tür des Schlafsaals, und der dritte erschoß den Wachhabenden aus nächster Nähe. Hinter den Soldaten kamen die Häftlinge hereingerannt, alle stürzten sich auf den Ständer – Gewehre und Maschinenpistolen waren in ihren Händen. Major Pugatschow riß die Tür zum Schlafsaal auf. Die Soldaten, noch in Unterwäsche und barfuß, wollten zur Tür stürzen, aber zwei MPi-Salven an die Decke hielten sie auf.
    »Hinlegen«, kommandierte Pugatschow, und die Soldaten krochen unter die Pritschen. Der MPi-Schütze blieb als Wache an der Schwelle.
    Ohne Eile zog die »Brigade« Militäruniformen an, packte Lebensmittel ein und versah sich mit Waffen und Patronen.
    Pugatschow ließ an Lebensmitteln nur Schiffszwieback und Schokolade mitnehmen. Dafür nahmen sie so viel wie möglich an Waffen und Patronen.
    Der Feldscher hängte sich die Tasche mit dem Verbandskasten über die Schulter.
    Die Flüchtigen fühlten sich wieder als Soldaten.
    Vor ihnen lag die Tajga – aber ist sie schrecklicher als die Stochod -Sümpfe?
    Sie erreichten die Trasse, und auf der Chaussee hob Pugatschow den Arm und hielt einen Lastwagen an.
    »Aussteigen!«, er öffnete die Tür zur Fahrerkabine.
    »Aber ich ...«
    »Aussteigen, hörst du nicht!«
    Der Chauffeur stieg aus. Ans Steuer setzte sich der Leutnant der Panzertruppen Georgadse, neben ihn Pugatschow Die flüchtigen Soldaten kletterten in den Kasten, und das Fahrzeug jagte los.
    »Hier müßte ein Abzweig sein.«
    Das Fahrzeug bog ab in einen der ...
    »Das Benzin ist alle!..«
    Pugatschow fluchte.
    Sie gingen in die Tajga, wie man ins Wasser taucht – verschwanden sofort im riesigen schweigsamen Wald. Die Karte im Blick, hielten sie am ersehnten Weg in die Freiheit fest, immer schnurstracks ausschreitend. Durch einen dieser erstaunlichen Windbrüche.
    Die Bäume starben im Norden im Liegen wie die Menschen. Ihre mächtigen Wurzeln sahen aus wie die gigantischen Krallen eines Raubvogels, der sich an den Stein klammert. Von diesen gewaltigen Krallen nach unten, in den Dauerfrostboden sprossen Tausende kleine Fühler-Auswüchse. Jeden Sommer ging die Vereisung ein wenig zurück, und ein brauner Wurzelfühler kroch sofort in jeden Zentimeter getauter Erde und krallte sich fest.
    Die Bäume erreichten ihre Reife hier mit dreihundert Jahren, langsam erhoben sie

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