Linkes Ufer: Erzählungen aus Kolyma 2 (German Edition)
hatte wie Pugatschow. Das von den Deutschen getroffene Flugzeug, Gefangenschaft, Hunger, Flucht – Tribunal und Lager. Jetzt dreht sich Chrustaljow um – die eine Wange ist röter als die andere, er hat darauf gelegen. Chrustaljow war der erste, mit dem Major Pugatschow vor Monaten über die Flucht gesprochen hatte. Darüber, daß der Tod besser ist als ein Häftlingsleben, daß es besser ist, mit der Waffe in der Hand zu sterben als müde von Hunger und Arbeit unter den Gewehrkolben, unter den Stiefeln der Begleitposten.
Chrustaljow wie der Major waren Menschen der Tat, und jene winzige Chance, um derentwillen heute das Leben der zwölf Leute aufs Spiel gesetzt wurde, war aufs gründlichste beraten worden. Der Plan war, einen Flugplatz und ein Flugzeug an sich zu bringen. Flugplätze gab es hier mehrere, und jetzt laufen sie durch die Tajga zum nächstgelegenen Flugplatz.
Chrustaljow war auch jener Brigadier, den die Flüchtigen nach dem Überfall auf die Wachabteilung holen ließen – Pugatschow wollte nicht ohne seinen engsten Freund fliehen. Und da schläft er jetzt, Chrustaljow, ruhig und fest.
Neben ihm Iwaschtschenko, der Waffenmeister, der die Revolver und Gewehre der Wache reparierte. Iwaschtschenko hatte alles erkundet, was für den Erfolg notwendig war: wo die Waffen liegen, wer und wann in der Abteilung Dienst tut, wo die Munitionslager sind. Iwaschtschenko war ehemaliger Aufklärer.
Fest schlafend, aneinandergeschmiegt, Lewizkij und Ignatowitsch – beide Flieger, Kameraden von Hauptmann Chrustaljow.
Der Panzerfahrer Poljakow hat beide Arme auf die Rükken seiner Nachbarn ausgestreckt – des Giganten Georgadse und des kahlköpfigen Spaßvogels Aschot, dessen Nachname dem Major gerade nicht einfällt. Den Verbandskasten unter dem Kopf, schläft Sascha Malinin, der Lagerfeldscher, früher Sanitäter, der eigene Feldscher von Pugatschows Sonderkommando.
Pugatschow lächelte. Wahrscheinlich hatte jeder seine eigene Vorstellung von dieser Flucht gehabt. Doch darin, daß alles gut ging, darin, daß jeder den anderen auf Anhieb verstand, sah Pugatschow, daß nicht nur er richtig gelegen hatte. Jeder wußte, die Ereignisse laufen wie geplant. Da ist ein Kommandeur, da ist ein Ziel. Ein überzeugter Kommandeur und ein schwieriges Ziel. Da sind Waffen. Da ist Freiheit. Sie können einen ruhigen Soldatenschlaf schlafen selbst in dieser leeren blaß-lila Polarnacht mit dem sonderbaren sonnenlosen Licht, in dem die Bäume keinen Schatten haben.
Er hatte ihnen Freiheit versprochen, sie haben die Freiheit bekommen. Er führte sie in den Tod – sie hatten keine Angst vor dem Tod.
»Und keiner hat uns verraten«, dachte Pugatschow, »bis auf den letzten Tag.« Von der beabsichtigten Flucht wußten natürlich viele im Lager. Die Leute wurden über mehrere Monate ausgewählt. Viele, mit denen Pugatschow offen gesprochen hatte, hatten abgelehnt, aber keiner war mit einer Denunziation auf die Wache gerannt. Dieser Umstand versöhnte Pugatschow mit dem Leben. »So feine Kerle, so feine Kerle«, flüsterte er und lächelte.
Sie aßen etwas Schiffszwieback und Schokolade und gingen schweigend los. Ein kaum erkennbarer Pfad leitete sie.
»Ein Bärenpfad«, sagte Seliwanow, der sibirische Jäger.
Pugatschow und Chrustaljow waren bis zum Paß aufgestiegen, zum kartographischen Dreifuß, und sahen durchs Fernglas nach unten, auf zwei graue Bänder – den Fluß und die Chaussee. Der Fluß war wie jeder Fluß, die Chaussee aber war über eine große Strecke von einigen Dutzend Kilometern voller Lastwagen mit Menschen.
»Häftlinge wahrscheinlich«, meinte Chrustaljow.
Pugatschow schaute genau hin.
»Nein, das sind Soldaten. Sie sind hinter uns her. Wir müssen uns teilen«, sagte Pugatschow »Acht Mann sollen in den Schobern übernachten, und wir vier schauen uns diese Schlucht an. Morgen früh kommen wir zurück, wenn alles gut geht.«
Sie machten einen Bogen um ein niedriges Gehölz und traten in das Bachbett. Es war Zeit für den Rückweg.
»Sieh doch – zu viele, laß uns lieber bachaufwärts.«
Schwer atmend stiegen sie rasch das Bachbett hinauf, und die Steine sprangen bergab, rasselnd und polternd direkt vor die Füße der Angreifer.
Lewizkij drehte sich um, fluchte und fiel. Eine Kugel hatte ihn direkt ins Auge getroffen.
Georgadse blieb an einem Felsblock stehen, drehte sich um und stoppte mit einer Salve aus der MPi die die Schlucht hochsteigenden Soldaten, nicht für lange – seine MPi
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