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Linksaufsteher: Ein Montagsroman

Linksaufsteher: Ein Montagsroman

Titel: Linksaufsteher: Ein Montagsroman
Autoren: Matthias Sachau
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Rolle?«  
    »Nein.«  
    »Dann solltest du bis Montag noch etwas an deinem Gesicht arbeiten.«  
    ***  
    Ich komme das Treppenhaus nur langsam hoch. Die drei prallgefüllten Stoffbeutel in meinen Händen gehorchen stur den Gesetzen der Schwerkraft und sind, wie immer, nicht bereit, auch nur ein bisschen fünfe gerade sein zu lassen. Nicht wie immer ist dagegen der Inhalt der Beutel. Ich kann es selbst noch nicht glauben, aber ich habe wirklich nur das gekauft, was Franziska und ich brauchen. Zwar bin ich schon bei den ersten beiden Einkäufen nach ihrem Supermarkt-Hausverbot einige Male von meinem alten Konzept abgewichen, aber dass ich nun, wie früher, einfach nur eine Einkaufsliste abarbeiten kann, überrascht mich. Und beunruhigt mich. Aber gut, wenn ich will, kann ich ja jederzeit wieder damit anfangen, alle Artikel genau ein Mal zu kaufen und so weiter. Muss ja kein Abschied für immer sein.  
    Während ich die Sachen in die Schränke räume, geht mir wieder die Melodie von gestern durch den Kopf. Soll ich mir das noch mal anhören, was ich mit dem Laptop aufgenommen habe? Einerseits, der Schock mit dem Klaus-Gedicht sitzt noch tief. Andererseits, diesmal war kein Alkohol im Spiel. Und selbst wenn ich meine Melodie trotzdem ganz schlimm finden sollte, ich habe sie niemandem zwischen die Wäschestücke oder sonst wohin geschoben und brauche mir keine Sorgen zu machen. Wenn ich sie lösche, ist sie für immer aus der Welt.  
    Ich fahre meinen Laptop hoch. Ich klicke auf den Play-Button. Ich erscheine auf dem Bildschirm. Ich schaue mich an. Ich öffne den Mund und ich fange an zu singen.  
    ***  
    Ich bin schon fast bei dem leerstehenden Ladengeschäft, das Rüdiger als Proberaum für uns angemietet hat, aber ich singe immer noch laut. Und immer noch die gleiche Melodie. Schon seit einer Stunde. Sie ist nämlich wunderbar. Sie singt sich wie von selbst. Ich habe nur noch keinen Text. Mal singe ich irgendwelche Laute, mal summe ich einfach. Ich suche gar nicht erst nach Worten. Mir ist, als wäre tief in mir ein Text für das Lied und als würde der irgendwann herauskommen und alle anderen Textversuche zu Staub machen.  
    Und nebenbei versuche ich zufrieden zu sein. Auf jeden Fall geht es mir besser als in der Zeit, bevor ich Lena getroffen habe. Ich habe endlich wieder eine WG . Und ich habe mich in Lenas Achtung von »gewissenloser Hallodri« zu »guter Freund« hochgearbeitet. Und außerdem habe ich das Gefühl, dass sich auch noch viel bei mir tun wird. Alles bewegt sich. Es ist wirklich okay.  
    Jemand hat in großen Buchstaben »Auerbach« auf die Schaufensterscheibe geschrieben. War auch klar, dass Rüdiger uns einen Proberaum besorgt, in dem wir die ganze Zeit über beobachtet werden können. Aber ich habe mir vorgenommen, mich über nichts mehr aufzuregen. Ich klopfe immer noch summend an die Tür, und Rüdiger öffnet. Außer ihm ist noch keiner da. Mein »hallo« hallt im Leeren nach, als wäre ich der Kinderhauptdarstellers eines Gruselfilms, der gerade damit beginnt, den dunklen Keller eines leerstehenden alten Hauses zu erforschen. Zum Glück ist hier genug Tageslicht, und Rüdigers »hallo« klingt auch nicht wie die Stimme eines bösen Geists. Wenn mich in diesem Augenblick schon wieder dunkle Vorahnungen erfassen, liegt das mehr an den nackten Fakten: Übermorgen ist Aufführung, es ist 15 Uhr, und hier läuft immer noch keine Probe.  
    »Wo sind die anderen?«  
    »Die kommen gleich. Ich mache dich in der Zwischenzeit mit den aktuellen Entwicklungen bei Faust 2.0 vertraut. Kaffee?«  
    »Okay.«  
    Was macht er da mit seinem Handy?  
    »He, schreibst du das jetzt etwa an deine Facebook-Pinnwand?«  
    »Selbstverständlich. Wir leben im postprivaten Zeitalter, Oliver. Zu unserem Projekt: Der Bossa-Nova-Komponist ist noch nicht ganz fertig mit der Neuvertonung der Lieder, die in der Szene gesungen werden, aber wir haben ja auch so erst mal genug zu tun.«  
    »Erst mal ist gut. Es ist unsere einzige Probe.«  
    »Reinardo, so heißt der Komponist, wird die Lieder als Tondateien ins Netz stellen, wenn er fertig ist. Du und die anderen singenden Darsteller können sie dann zu Hause proben. Heute werden wir die Liedtexte nur sprechen.«  
    »Schon ein dicker Hund, dass dieser Reinardo zwei Tage vor der Aufführung nicht fertig ist, oder?«  
    »Er war schon fast fertig, aber dann wurde vorgestern vom Sponsor die Anforderung an ihn herangetragen, bayerische Folklore-Elemente in die
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