Linksaufsteher: Ein Montagsroman
Schlafzimmertür quer durch die Wohnküche bis zum französischen Fenster spähe, ist allerdings ganz anders als das, was ich in der WG gesehen hätte. Ich räume viel zu viel auf. Früher war das nicht so schlimm, weil ich, sobald ich aus meinem WG -Zimmer herauskam, immer sofort mitten in irgendeiner Form von Chaos steckte, das kein Mensch der Welt jemals wieder aufgeräumt bekommen würde. Da war mein kleines bisschen Ordnung im Zimmer einfach nur ein angenehmer Kontrast. Dass mein riesiges Wohnzimmer genauso aufgeräumt ist wie mein Schlafzimmer, ist dagegen deprimierend. Eine Zeitlang habe ich absichtlich alte Zeitungen, CD s ohne Hüllen und Socken auf dem Boden verteilt, aber das war noch deprimierender. Ich müsste öfter Übernachtungsbesuch haben, der hier seine wunderbaren bunten Schlafsäcke, Kontaktlinsenflüssigkeitsflaschen und Schmutzwäschestücke ausstreut. Aber ich habe das Gefühl, seit ich hier wohne, traut sich keiner mehr, mich zu besuchen.
Der 300-Euro-Lattenrost, auf dem meine Matratze liegt, ist verstellbar. Ich könnte ruckzuck aus meinem Bett etwas machen, das meinen Körper noch zärtlicher in Leseposition stupst als die beste Pool-Liege der gesamten Seychellen. Hab ich aber noch nie ausprobiert. Immer wenn es mir einfällt, liege ich schon längst auf der Seite in der ewig gleichen Haltung, die mir schon damals, als ich als Kind heimlich mit der Taschenlampe unter der Bettdecke gelesen habe, böse Haltungsschäden verpasst hat. Aber wenn man schon mitten im Lesen ist, steht man auch nicht noch mal extra auf.
Eine halbe Stunde später habe ich mein Buch durch. Mittlerweile das dritte von Wolf Haas. Der Druckschmerz in meiner linken Wange, die ich beim Lesen die ganze Zeit mit meiner linken Faust abgestützt hatte, lässt zwar nur langsam nach, aber das macht nichts. Ich habe es bis zur letzten Seite genossen. Natürlich stellt sich jetzt die Frage, ist Wolf Haas wirklich so gut, oder finde ich ihn nur so gut, weil die Frau, die ihren Rollkoffer in meinem Herzen abgestellt hat, ihn liest? Mein Urteilsvermögen ist leider weg. Klares Merkmal des Zustands der Verliebtheit. Aber wenigstens habe ich noch genug Urteilsvermögen, um zu merken, dass mein Urteilsvermögen weg ist, was wiederum ein Widerspruch in sich selbst ist. Oder ein Zeichen, dass ich mir meine Verliebtheit nur einbilde, was mein Leben mit einem Schlag viel einfacher machen würde. Oder, dritte Möglichkeit, dass Wolf Haas gut ist und ich verliebt bin. Ach, lasst mich in Ruhe.
Viel wichtiger ist doch, dass ich heute zum ersten Mal in meinem Leben Anton mit Argumenten in die Knie gezwungen habe. Dazu gestern mein Sieg gegen Tobi und der geheimnisvolle Traum. Ich bin mir sicher, irgendwas in meinem Leben gerät tatsächlich gerade mächtig in Bewegung. Nur keine Ahnung, ob das gut oder schlecht ist, was wiederum ein Zeichen dafür ist, dass mein Urteilsvermögen doch … Chrrrrrrrrr …
Piepiepiep, piepiepiep, piepiepiep … Nein, Wecker, verarschen kann ich mich selber … Was? Das Handy sagt auch acht Uhr? … Na gut. Wenigstens ist schon Mittwoch. Keine Elvin-und-Adrian-Termine mehr diese Woche, nur noch ein bisschen Hundefutter, Putzmittel, Autohaus Dingens und anderer Kleinkram. Und am Donnerstag natürlich Coffee & Bytes … Und ein Glück, dass ich meinen Lattenrost gestern nicht zum Lesen verstellt habe. Ich will gar nicht dran denken, wie es mir jetzt gehen würde, wenn ich die vergangenen sieben Stunden in Liegestuhlposition geschlafen hätte.
***
Ich muss Amelie anrufen. Je länger ich grüble, umso klarer wird es. Amelie war zu WG -Zeiten lange meine Traumfrau. Leider war sie, so nah wir uns standen, immer unerreichbar für mich. Erst als ich mich eines Tages in ihre beste Freundin Julia verliebt hatte, fanden wir plötzlich doch beinahe zueinander, was dann wiederum alles sehr kompliziert machte, aber am Ende doch irgendwie gut ging. Also im Großen und Ganzen betrachtet auf jeden Fall, aber ist jetzt auch egal. Jedenfalls, auch wenn das mit der Liebe zwischen uns nicht ganz geklappt hat, eins muss man sagen: Niemand kann sich so gut in meine Probleme hineindenken wie sie. Wenn ich Tobi zu Rate ziehe, endet immer alles im Chaos, wenn ich Gonzo nehme, in Depression, und wenn ich Julia, die inzwischen als Veterinärin in einem Nationalpark in Peru arbeitet, per Skype frage, im Skype-Streit. Am schlimmsten ist es allerdings, wenn ich mit dem abgeklärten Erfolgsmenschen Reto spreche.
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