Linksaufsteher: Ein Montagsroman
Dann habe ich am Ende immer das Gefühl, ich hätte gar kein Problem. Was mein Problem dann aber auch nicht löst.
Amelie ist anders. Die hört zu, die fühlt sich rein, die denkt nach. Sie ist genauso, wie Frauen sich Männer wünschen. Und wenn man mit ihr ein Problem bespricht, versteht man auch genau, warum Frauen Männer sich so wünschen. Dann weiß man sogar, dass Männer sich Frauen auch so wünschen. Okay, so und sexy. Was Amelie auf ihre Art auch ist. Aber eben … auf ihre Art. Ist jetzt auch nicht so wichtig. Ich muss sie jedenfalls fragen, was ich morgen machen soll, wenn ich die Frau treffe, die mein Herz im Rollkoffer spazieren fährt.
Leider kann ich sie nur anrufen, weil sie schon vor langer Zeit für ihren ersten Job nach Gastrop-Rauxel gezogen ist. Ist zwar näher als Peru, aber in ihre Augen schauen kann ich trotzdem nicht. Oft steht da nämlich die Lösung schon geschrieben, bevor sie überhaupt ein Wort gesagt hat. Aber jetzt muss es halt so gehen. Ich wähle. Ja, sie ist da. Und sie hat Zeit. Hat sie schon jemals keine Zeit gehabt, wenn ich ein Problem hatte? Sie ist toll. Während wir sprechen, stelle ich sie mir vor. Die wippenden blonden Haare, das Mona-Lisa-Lächeln, das Nicken, immer hart an der Grenze zum Wackeldackel, aber nie darüber. Bald bin ich in Fahrt. Sie muss ja erst mal alles wissen, bevor sie eine Lösung finden kann.
»… und der Punkt ist, da ist eine riesige Kluft zwischen uns, verstehst du? Inhaltlich, weltanschaulich, alltagstechnisch, optisch, ich hab einfach keinen Ansatzpunkt. Vielleicht wäre alles schon ganz anders, wenn ich einen Ansatzpunkt gefunden hätte. Der springende Punkt ist also der Ansatzpunkt. Hihi.«
»Ich verstehe.«
»Und dann hatten wir eben auch noch diesen fürchterlichen Start. Anton meint zwar, dass es gar nicht schlecht ist, wenn es mit einem Streit beginnt, aber ich glaube, er hat nur teilweise recht. Klar, nach so einem Streit sind schon mehr Emotionen im Spiel, als wenn man nur ups, tschuldigung, macht nichts sagt, aber es sind eben negative Emotionen, das muss man auch mal im Großen und Ganzen sehen.«
»Ich verstehe.«
»Und ich habe einfach keinen Plan. Wenn sie sich da an den Nebentisch setzt und kurz grüßt, hey, was soll ich da schon groß sagen? Wow, Sie haben sich aber elegant hingesetzt, so mit Schwung und Verve, kann nicht jeder …? Ist doch alles Quark. Und ich muss dauernd über den Traum mit den Zöpfen nachdenken. Kennst du eigentlich schon den Traum mit den Zöpfen?«
»Ich verstehe.«
Eine halbe Stunde später fällt mir nichts mehr ein, was ich noch berichten könnte, um Amelie auf den Stand zu bringen. Es wird Zeit für ein Schlusswort.
»Ja, so in etwa, ne.«
»Ich verstehe.«
…
»Wie gesagt, so im Großen und Ganze wärs das.«
»Ich verstehe.«
…
»Man könnte noch viel darüber erzählen, aber ich glaube, es reicht fürs Erste.«
»Ich verstehe.«
…
»Also, Amelie, jetzt sag mal, was soll ich machen?«
»Was du machen sollst?«
»Ja.«
»Ach, Oliver, ich würde sagen, sei einfach du selbst.«
»Sonst nichts?«
»Sonst nichts.«
»Aber wie macht man das?«
»Einfach nicht nachdenken.«
»Ach so.«
»Okay, Oliver?«
»Ich versuche es.«
Donnerstag
» Free your body, soul and mind. Free your body, soul and mind …«
Oh, oh, die elende Coffee & Bytes-Chill-out-Musik ist ja schon schwer genug zu ertragen, wenn sie sich auf Computergedaddel beschränkt. Wenn dann aber auch noch eine Frauenstimme sinnfreies Gewäsch reinsingt, ist die Grenze zur Folter eindeutig überschritten. Und mir kann keiner erzählen, dass der Mann, der hier die Macht zur Raumbeschallung hat, das nicht genauestens weiß. Aber er kann machen, was er will, mich wird er so leicht nicht vertreiben. Ich habe eine Mission.
»Free your body, soul and mind. Free your body, soul and mind …«
Ja, eine Mission … Allerdings, viel mehr als die Mission habe ich im Moment leider nicht. Was mir zum Beispiel gänzlich abgeht, ist immer noch ein Plan. Oder eine Taktik, oder wenigstens ein strategischer Ansatz. Außer Amelies Sei du selbst habe ich nichts.
Nachdem wir gesprochen hatten, hat es sich auch erst einmal ganz toll angehört. Aber spätestens seit ich die Schwelle des Coffee & Bytes überschritten habe, merke ich, dass es Situationen gibt, in denen es fast unmöglich ist, einfach man selbst zu sein.
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