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Linksaufsteher: Ein Montagsroman

Linksaufsteher: Ein Montagsroman

Titel: Linksaufsteher: Ein Montagsroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias Sachau
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mehr die ganze Geschichte von Lena und mir, von ihrer paronimischen Dystrophie, von meinem totalen sozialen Versagen, als sie im Krankenhaus lag, während ich und die anderen den Faust aufführten, von unserem unsanften Wiedersehen und meiner Blindheit bis hin zu unserem Treffen heute und dass ich noch bis eben gebraucht habe, um klar zu kriegen, dass sie kein kleines Mädchen mehr ist und dass ich wirklich in sie verliebt bin und eigentlich keine Chance für uns sehe, aber trotzdem irgendwie versuchen will, wenigstens die Sache von früher wiedergutzumachen. Und dann natürlich vom Projekt Hamlet 2.0, das ich vor gerade mal zwei Stunden ganz elegant in Faust 2.0 umgemünzt habe, und dass ich hoffe, dass Lena sich freut, wenn sie jetzt endlich das Gretchen spielen kann.  
    Erst beim Erzählen wird mir bewusst, was für einen langen Tag ich hinter mir habe. Das Signal für mein Hirn, einige große Schalter mit einem Schlag auf »müde« umzulegen. Ein Glück, dass der »hungrig«-Schalter noch viel größer ist. Ich lade meinen Teller noch einmal voll und versenke meine Gabel tief im köstlichen Braten.  
    »Und du glaubst wirklich, dass Lena sich freut, dass sie bei diesem Faust-Ding mitspielen darf? Immerhin ist das Ganze ja vor allem eine Werbeveranstaltung.«  
    »Wenn nur Elvin und Adrian die künstlerischen Leiter wären, wäre ich bestimmt nicht auf die Idee gekommen. Aber Rüdiger Rodeo, der ist ja nicht ganz doof. Der hat schon seine Ansprüche.«  
    »Ja? Welche denn genau?«  
    »Hm, schwer mit Worten zu beschreiben.«  
    »Hihi.«  
    »Na, zumindest hat er einen Ruf zu verlieren. Er kann es sich auf keinen Fall leisten, dass wir da irgendwelchen billigen Klamauk veranstalten. Und Pinklbräu wird ja wohl auch keinen Wert auf einen Ruf als Faust-Schänder legen. Guck dir mal die Zielgruppe an und die Markenwerte …«  
    »Schon gut. Trotzdem, ich habe irgendwie ein komisches Gefühl dabei. Hast du denn keine andere Idee, wie du es wiedergutmachen könntest?«  
    »Nein. Aber das wird schon. Warts nur ab.«  
    Wir vergehen uns an den letzten Bissen. Kaum zu glauben, aber wir haben wirklich alles aufgegessen, obwohl ich am Anfang dachte, dass man damit eine ganze Bande Möbelpacker satt bekommen würde.  
    »Meinst du, ich sollte nächstes Mal noch einen Tick mehr Preiselbeermarmelade in die Soße tun?«  
    »Nein, auf keinen Fall. Du musst alles wieder genauso machen. Es schmeckt, wie Rüdiger Rodeo sagen würde, konsequent vertikal-bonfortionösistisch mit exzessiv-brachialen Gout-gusto-Tendenzen, ausgelöst durch modest-rurale Modulkomponenten mit observabel-frappanten Noten von …«  
    »Pah. Kunst wäre, es mit einem Wort zu sagen.«  
    »Mit einem Wort?«  
    »Warum nicht?«  
    Ich lehne mich zurück und sehe ihr mit verklärtem Blick in die Augen.  
    »Franziska, dieser wunderbare Rinderschmorbraten schmeckt einfach so richtig schön …«  
    »Ja?«  
    »Spießig. Aua!«  
    Wie schnell sie es geschafft hat, eine Erbse auf ihren Löffel zu laden, und wie präzise sie damit genau mein Auge getroffen hat! Ich habe die tollste Mitbewohnerin der Welt.  

Mittwoch  
     
    Es ist der perfekte Tag, um endlich da wieder anzuknüpfen, wo ich vor gut einem Jahr aufgehört habe: Als gefürchteter Parkfußball-Mittelfeldrackerer mit dem Laufpensum eines Windhunds. Ein paar Wolken sorgen dafür, dass es nicht zu heiß ist, die Luft hat genau den Feuchtegrad, der sie zur Delikatesse für hart arbeitende Lungen macht, und meine Fußballschuhe passen noch, als hätte ich sie nie ausgezogen. So weit zu den äußeren Bedingungen. Was meine inneren Bedingungen betrifft, sieht es anders aus. Die Motivation stimmt halbwegs, alles andere kann man getrost vergessen. Aber, nun ja, es war auch irgendwie zu erwarten gewesen.  
    »Kann ich … noch mal … ins … Tor … Theo?«  
    »Du warst doch gerade eben erst im Tor, Krach.«  
    »Ich … kann nicht … mehr.«  
    »Schon wieder? Gib mir wenigstens noch drei Minuten. Ich muss auch mal durchschnaufen.«  
    Mist. Und leider erfordert es die Spielsituation, dass ich mich sofort in den nächsten kräftezehrenden Zweikampf werfen muss. Während ich schwer schnaufend versuche, den sprintenden Gegnerstürmer von unserem Tor abzudrängen, schafft es der Kopf zwar wieder, alle Wünsche nach Zurückhaltung auszublenden, als die Situation aber geklärt ist, bin ich endgültig überzeugt, dass ich sofort sterben muss. Meine Beine sind wie Pudding

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