Linksaufsteher: Ein Montagsroman
noch eine Melodie dazu ausdenken … Boa, drei Uhr. Ich schreibe es jetzt noch einmal sauber ab, und dann ab ins Kopfkissen mit mir.
Dienstag
Mit dem Schädel, den ich heute Morgen hatte, hätte man eine ganze Stadt abreißen können. Deswegen war mein Jubel darüber, dass ich schon um halb neun im Studio sein musste, recht kurz. Neben den Kopfschmerzen peinigten mich noch mein Schlafdefizit und die Anwesenheit von Elvin und Adrian. Allerdings hatte der Termin auch sein Gutes. Er war kurz, und er war der letzte Forza-Idee-Termin für diese Woche. Die beiden haben mir tatsächlich die übrigen Tage freigeschaufelt, damit ich in Ruhe mit Rüdiger und den anderen Hanseln für Faust 2.0 proben kann.
Trotz dieser glücklichen Umstände – als ich wieder nach Hause kam und in den Spiegel sah, war mir sofort klar, dass etwas geschehen musste. Ich sah einfach nicht aus wie der, der heute Mittag die Frau seines Herzens mit einem Gedicht betören wird. Ich sah vielmehr aus wie der, der überlegt, ob er sich auf dem Rummelplatz als Geisterbahn-Geist oder als lebender Boxsack bewerben soll. Der Plan, das Gedicht zu vertonen, wurde sofort gestrichen. Stattdessen habe ich eine Aspirin eingeworfen, Turnschuhe angezogen und bin losgejoggt. Normalerweise hätte ich mich in diesem Zustand nie dazu durchgerungen, aber wenn Lena gleich kommt, will ich wenigstens wieder ein bisschen gesunde Farbe im Gesicht haben.
Dumm nur, dass ich losgelaufen bin, ohne vorher richtig über die Route nachzudenken. Einfach immer die Spree entlang ist ja nicht schlecht, aber mir wird gerade mit jedem Schritt klarer, dass ich viel früher hätte umkehren müssen. Eigentlich kann ich nicht mehr, aber ich muss weitertraben, sonst komme ich zu spät oder bin noch unter der Dusche. Lena hat zwar einen Schlüssel, aber, nein, irgendwie wäre das doof. Ich will sie doch richtig empfangen. Vielleicht ergibt sich dabei auch gleich eine Gelegenheit, mein Gedicht … Wobei, ich weiß ja immer noch nicht, soll ich es vortragen oder doch heimlich in die Wäsche stecken? Vom Bauch her bin ich mehr für heimlich in die Wäsche stecken, aber was, wenn es verlorengeht? Die Unsicherheit wird unerträglich sein. Hat sie es gelesen? Hat sie nicht? Ist es womöglich in eins der Hosenbeine ihres Sohnes Bommi gerutscht? Entziffert er es jetzt gerade zusammen mit seinen Klassenkameraden?
Ich kann vor Seitenstechen kaum noch nachdenken. Und da kommt schon wieder einer dieser elenden Ausflugsdampfer vorbei, die mehr Abgase ausstoßen als einen Flotte usbekischer Reisebusse. Zum Glück habe ich den größten Teil der Strecke schon geschafft. Nur noch ein paar Meter, dann biege ich links ab und schaukele mich über den letzten Teilabschnitt nach Hause.
Fünf Minuten später keuche ich unser Treppenhaus hoch und falle durch die Tür. Keine Zeit für einen Drink. Raus aus den Klamotten und rein in die Dusche … Ups.
»Oh. Tschuldigung.«
Warum muss Franziska immer ausgerechnet dann von ihrem Thaibox-Crashkurs zurück sein, wenn ich auch gerade verschwitzt bin? Wäre ja sonst kein Problem, aber ich habe Termindruck. Ich schreie durch die Tür.
»Bist du noch lang drin?«
»Na ja, bisschen schon noch. Der Massagestrahl ist … AUMMMMOARRRFF .«
Mist.
»Wenn du es eilig hast, kannst du ja heute in die Badewannendusche gehen.«
»Wenn das okay ist?«
»Nur zu. AUMMMMOARRRFF .«
Sehr gut. Jetzt aber flott. Im Nu bin ich aus den Sachen draußen und habe mich mit Wasser besprenkelt und eingeseift.
»Franziska, kochst du eigentlich irgendwann noch mal?«
»Klar. Als Nächstes wollte ich Semmelknödel probieren. Morgen Abend?«
»Wunderbar! Kann ich noch einen Freund und seine Freundin einladen?«
»Warum nicht?«
»Du wirst ihn mögen. Ist ein guter Esser.«
So, jetzt nur noch abduschen. Bleib doch in der Seifenschale, blöde Seife! Oh, da fällt mir was ein, Franziska hat noch was bei mir offen.
»Da kommt was!«
»Au! Boa, na warte!«
»Au! … Au! … Daneben! … Au!«
Seife, Duschgel, zwei Mal Haarshampoo – sie hat nichts mehr. Ich kann mich in Ruhe abtrocknen.
»Au!«
Ach ja, die Spülung.
»Komm raus, Franziskachen, ich warte auf dich.«
Ich mache mir einen dicken Knoten in mein Handtuch.
»So?«
Ich sehe noch, wie sich die Duschkabinentür öffnet. Dann geht alles sehr schnell.
»Prust! … Nicht mit dem Massagestrahl! Nicht mit dem M…!«
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