Linksträger: Roman (German Edition)
unerheblichen Hinweis für uns bereit: »Aber heute ist Sonntag, und es ist nur ein Arzt für Entbindungen im Haus. Eine von Ihnen muss also warten.«
»Warten?«, rufen die beiden Frauen unisono. Entsetzen zeigt sich auf ihren Mienen. Der Waffenstillstand war nur von kurzer Dauer, denn ihre Gesichtszüge verhärten sich binnen Sekundenbruchteilen, als sie sich einander zuwenden.
Es ist Jana, die den Startschuss gibt und ihrer Cousine reinen Wein einschenkt. »Du hast mich ein Leben lang kopiert und hast mir alles nachgemacht. Ich lass mir nicht auch noch von dir die Geburt meines Kindes versauen. Diesmal nicht, Nora. Ich bin als Erste dran.«
»Das werden wir ja gleich sehen, Jana. Du weißt ja, der Letzte beißt die Hunde.«
Wie in einem Django-Western sehen sich die beiden tief in die Augen, wann das Gegenüber als Erstes zuckt. Falco gibt just in diesem Moment Vollgas und sprintet mit Nora im Rollstuhl davon.
»Hinterher«, höre ich Jana aufschreien und schlage reflexartig die Hacken in das Linoleum des Krankenhausbodens. Weiter vorn sehe ich, wie Falco uns einen Mülleimer in den Weg schiebt.
»Ist das alles, was ihr draufhabt?«, rufe ich und hechele hinterher. Brummelbärchen baut langsam ab, und so hole ich ihn an der nächsten Biegung bereits wieder ein. In den Rollstühlen bekämpfen sich die werdenden Mütter unterdessen mit dem Inhalt ihrer Handtaschen. Nagelfeile, Mascara und sogar ein Tamponpäckchen werden als Wurfgeschosse benutzt, um den Rennwagen der anderen zu sabotieren. Als Jana dann auch noch ihren Schal in die Speichen von Noras Rollstuhl steckt, gelingt uns das entscheidende Manöver. Die Räder vom Team Schwanz-Gurke blockieren, und wir ziehen vorbei. Ich jubele, während wir die letzten Meter zur Anmeldung rollen, und tätschele meiner Freundin den Kopf.
»Das ist mein Mädchen. Friss Staub, Falco«, rufe ich über die Schulter zurück und biege auf die Zielgerade, wo uns eine Krankenschwester aufhält.
»Was ist denn hier los?«
»Schwanger, schwanger«, hechele ich völlig außer Puste und höre meine Lunge dabei rasseln.
»Ja, das sehe ich auch. Aber haben Sie einen Termin?«
»Kein Termin, Notfall, Fruchtblase … geplatzt.«
»O verdammt. Warten Sie hier, ich sage dem Doktor Bescheid.«
Während nach dem Doktor gerufen wird, beuge ich mich zu Jana, die ihre letzten Kräfte in den Zweikampf mit Nora gelegt hat und völlig fertig ist.
»Ich halte das nicht mehr aus, Robert. Mir fliegt hier alles gleich um die Ohren.«
»Es wird alles gut, wir sind die Ersten, und wir bekommen unser Kind auch als Erste.«
Ein kleiner, aber umso dickerer Arzt, der den Maßen einer Ritter-Sport-Schokolade ähnelt, kommt im Laufschritt auf uns zu.
»Sie müssen entschuldigen, aber wir sind unterbesetzt«, sagt er.
Jana deutet mit schmerzverzerrtem Blick auf Nora. »Macht nichts, die wartet gerne. Und jetzt schieben Sie mich in den Kreißsaal, los.«
Nora hält sich den Bauch und richtet sich in ihrem Stuhl auf.
»Von wegen. Ich habe offiziell vor dir Termin. Also bin ich zuerst dran.«
»Du lieber Himmel, zwei Entbindungen?«, antwortet die sprechende Ritter Sport. »Na toll! Aber was bleibt uns anderes übrig? Also kommen Sie beide mit.«
»Aber, aber…«, haspeln die beiden Frauen unisono.
»Nichts da aber.« Dann wendet er sich der Schwester zu. »Lassen Sie den Kreißsaal vorbereiten und sagen Sie der Geburtshelferin aus dem gerade laufenden Seminar Bescheid. Vielleicht kann sie uns helfen.«
»Welche Dame aus welchem Seminar? Ich möchte keine Amateure am Unterleib meiner Frau stehen haben«, entgegne ich noch, doch unser Tross hat sich bereits in Bewegung gesetzt.
Dr. Ritter Sport hat die beiden Frauen strategisch günstig wie zwei Boxer gegenüberplatziert, sodass er mit seinem Stühlchen wie eine Flipperkugel zwischen beiden gespreizten Schenkelpaaren hin- und herschießen kann. Gerade parkt er zwischen Janas Beinen, als plötzlich die Tür des Kreißsaals aufschwingt und eine wohlbekannte Person im blauen OP-Gewand eintritt.
»Herr Süßemilch, Frau Klopp, das nenne ich nun aber mal eine göttliche Fügung.«
Ich fasse es nicht und glaube zunächst an eine Fata Morgana.
»Frau Kuhlig-Semmrau? Was machen Sie denn hier?«
»Ich halte hier jedes Jahr einen Vortrag über alternative Entbindungsmethoden an der Klinik. Sie wären ja eigentlich erst in drei Wochen dran gewesen. Aber das passt ja nun viel besser.«
Ich bin sichtlich beruhigt, dass wenigstens eine Person im
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