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Linna singt

Linna singt

Titel: Linna singt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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Schranktüren nun schließe oder nicht. Trotzdem kann ich mit Oz nichts anfangen. Ich kenne nur den Zauberer von Oz, aber dessen Reich wird Falk wohl kaum gemeint haben.
    Wieder schweigen wir eine Weile. Ich weiß nicht, ob ich jemals so lange und offen mit einem anderen Menschen geredet habe, ohne dass es dabei zu gegenseitigen Vorhaltungen, Tränen und Beschimpfungen kam oder mein Gegenüber mir an die Wäsche wollte. Offen war ich den Männern in meinem Leben gegenüber im Grunde nie gewesen. Ich spielte nur ihr ewig gleiches Spiel mit – ein Spiel aus Trug und Lügen.
    »Linna, dein Ausstieg aus der Band, das war doch eine Kurzschlusshandlung, oder? Du wolltest gar nicht aufhören, Musik zu machen.«
    »Ja, das war er«, gestehe ich, zu müde, um nach Ausreden zu suchen. »Eine Kurzschlusshandlung.« In dem Moment, in dem ich den anderen meinen Ausstieg verkündete, glaubte ich fest daran und wahrscheinlich wirkte ich deshalb so überzeugend auf sie, dass keiner versuchte, mich aufzuhalten. Doch die Vorstellung, nie mehr gemeinsam mit den anderen zu singen, tat mir weh, obwohl ich wusste, dass ich ein Konzert wie unser letztes nicht noch einmal würde durchstehen können. Es war zu intensiv gewesen, zu emotional.
    »Ich wäre sowieso ausgestiegen.«
    »Warum?«, frage ich erstaunt. Etwa wegen mir?
    »Ich hatte meine musikalische Schallgrenze erreicht, mehr ging nicht. Du warst mir Lichtjahre voraus.«
    Ich muss lachen, wenn auch freudlos, ein hohles Geräusch im Inneren meiner hölzernen Schutzburg. »Ich hätte dich mitgenommen in die nächste Galaxie.«
    »Nein, Linna, du hast in einer anderen Liga gespielt, du weißt das. Ich wäre euch hinderlich geworden. Ich mache gerne Musik, als mein Hobby, aber mehr auch nicht. Es war kein Trotz, wenn ich mich bei den Proben querstellte. Ich wusste einfach, dass ich nicht so abliefern kann, wie Maggie sich das vorstellte, und dann ließ ich es lieber ganz bleiben.« Also war es gar nicht Arroganz, sondern das Bewusstsein der eigenen Grenzen gewesen, das Falk so stur werden ließ. Und wir hatten es als Künstlerzickerei abgestempelt. Dabei wollte er nur nicht versagen. »Jetzt packe ich am Lagerfeuer oder beim Barbie meine Gitarre aus und hab Freude dran. ’n paar Bierchen und bisschen Geklimper mit Freunden. Das isses, was ich mag. Ich brauche die Bühne nicht.«
    Lagerfeuer und Barbie? Auf welchem Planeten lebt Falk? Was ist ein Barbie?
    »Wenn es eine Kurzschlusshandlung war, dein Ausstieg, warum probst du dann nicht mit uns?«, stellt Falk jene Frage, die unweigerlich kommen musste. »Warum weigerst du dich zu singen? Du hast gar keine Halsschmerzen, oder? Ich nehm dir das nicht ab.«
    »Ach, Falk …« Ich lege die Stirn auf meine angezogenen Knie. »Ich hab es seitdem nie wieder getan. Nicht einmal unter der Dusche oder beim Autofahren. Ich hab mich nicht getraut. Ich glaube, ich hab keine Stimme mehr. Sie ist weg.«
    Mit Grauen denke ich an den ersten Abend nach meiner Klinikentlassung zurück. Ich saß wie erstarrt in meinem Zimmer, während meine Mutter stundenlang mit ihren Freundinnen telefonierte und ihnen ihr Leid klagte, und wusste nicht, wie ich weitermachen sollte. Nur drei Tage lang war ich weg gewesen, weg von meinen Freunden, aber sie kamen mir vor wie drei Jahre. Ich fühlte mich, als habe man mir bei lebendigem Leibe die Haut vom Fleisch gezogen, ich hatte keinerlei Schutz mehr. Ich konnte so nicht auf die Bühne gehen, nicht einmal an Proben war zu denken. Die Musik war zu meinem Feind geworden. Ich hatte Angst zusammenzubrechen, sobald ich den ersten Ton anstimmte. In meiner Not versuchte ich, Jules über mein Handy zu erreichen, doch er nahm nicht ab, obwohl er mir vorher noch die SMS geschickt hatte mit der Bitte, mir alles noch mal in Ruhe zu überlegen. Auch er ignorierte mich. Jules rief nicht zurück, Maggie hasste mich, Simon hielt zu ihr. Ich hatte niemanden mehr. Es herrschte vollkommene Stille um mich herum. Erst Wochen später wagte ich es, wieder Musik zu hören, zögerlich, nur ein, zwei Songs von Mike, die härteren, verschrobenen Kompositionen, nichts, was zu naheging, und trotzdem schmerzte fast jeder Ton. Aber ich brauche diesen Schmerz. Er ist wie ein geschickt dosiertes Gift – zu viel, um zu leben, zu wenig, um zu sterben.
    »Dann passt es ja«, sagt Falk leise.
    »Was passt?«
    »Dass ich bei Still von Jupiter Jones immer an dich denken muss.«
    Ich blinzele eine brennende Träne aus meinem linken Augenwinkel. So still und so

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