Linna singt
möchte ich ihn ansehen, während ich ihn zu mir lasse.
Meine Augen ruhen sich aus auf seinem müden, zufriedenen Gesicht, als er sich auf mich schiebt – also erneut die klassische Variante, ich weiß nicht, ob ich schon wieder kann, aber noch weniger weiß ich, wie ich nicht können sollte.
Ich keuche auf und beiße mir auf die Lippe, es tut weh. Mehr als einmal bin ich nicht gewohnt; schon das zweite Mal hat mich in seiner Intensität beinahe überfordert, das hier ist absolutes Neuland für mich und meinen Körper. Wir haben doch nur wenige Stunden geschlafen.
»Wenn du dich bewegst, bringe ich dich um«, flüstere ich, doch er rührt sich nicht, bleibt nur da, regungslos, und es genügt. Das ist alles, was wir wollen, beisammen sein, wie Faultiere ineinanderhängen, anstatt vor Leidenschaft zu verglühen. Es ist so intim, dass mir schmerzhaft bewusst wird, wie endlich mein Leben und wie verletzbar mein Körper ist, so schmal und zierlich unter seiner schweren, breiten Brust und seinen erhitzten Hüften.
Trotzdem wende ich meinen Blick nicht ab und auch er schaut mich unverwandt an. Ja, in seinen Augen drohe ich nicht zu versinken oder hinabgezogen zu werden, aber sie machen mich nicht minder hilflos, wenn ich hineinsehe. Ich fühle mich wie ein einzelnes, zartes Blütenblatt auf hoher See. Die Wellen sind bereit, mich eine Weile zu tragen, doch ich werde immerzu spüren, dass ich verloren bin, wenn ich mich auf ihre Kraft verlasse und darauf, dass sie da sind. Jetzt erkenne ich sie wieder, ganz verborgen in seinem Blick, aber sie ist noch da, die bittere Scheu seiner Seele – seine Schwäche. Er hat keinen Scherz gemacht, als er sagte, er habe eine Schwäche für Frauen. Doch vor allem hat er eine Schwäche mit Frauen. Hier, in diesem Augenblick, so nah bei mir und so gefangen in meinen Küssen und Berührungen, vergisst er das Meer und seine Freiheitsliebe. Sie bedeuten ihm nichts mehr. Ich könnte diese Schwäche ausnutzen, ihn bezirzen, wie die Sirenen Odysseus vom rechten Wege abgebracht haben und die Loreley die Schiffer in den Tod sang, ich könnte ihn überreden, ein anderes Leben zu führen, bei mir, geregelt und in geschlossenen Räumen.
Aber es hat noch nie eine Frau gegen das Meer gewonnen. Es wird eine Weile gut gehen, er wird es versuchen, ehrlich und aufrichtig, doch das Fernweh wird ihn früher oder später rufen.
Mir blieb gar nichts anderes, als ihn zu verführen. Er sucht diese Momente nicht, weil er genau weiß, wie gefährlich sie sind. Jetzt ist er Wachs in meinen Händen, doch ich bitte ihn nicht, bei mir zu bleiben. Ich verharre still und sehe ihn nur an, lasse ihn in meine Augen eintauchen und fange ihn auf, um ihn freizulassen; ich muss es tun. Ich darf ihn nicht besitzen. Niemand darf das.
In keiner Nacht werde ich ihm so nahe sein können, wie er es mir gerade ist. Staunend berührt er mit den Fingerspitzen mein Gesicht, jetzt glaube ich ihm, dass ich mich anders anfühle. Ich wollte ihn damals nicht zum Bleiben bewegen und ich werde es auch jetzt nicht. Wenn ich mich von den anderen Frauen in seinem Leben unterscheide, dann dadurch. Und es bricht mir das Herz.
»Here«, sagt er kaum hörbar, als es vorbei ist. Ich weiß nicht, was er meint, ich fühle es nur. Es ist nicht in Worte zu fassen, in keiner Sprache dieser Welt. Für unsere Gedanken bleibt es unerreichbar.
Doch nun ist die Zeit gekommen, die Segel einzustreichen und zurückzukehren. Mein Kopf ist leer. Keine Musik mehr.
Ich habe das Gefühl, uralt zu sein, als ich mich von Falk löse und aus dem Bett krieche, um meine Kleider vom kalten Boden aufzuheben und anzuziehen. Luna liegt schlafend auf der Seite; sie hat sich mit dem abgefunden, was geschehen ist – etwas, was mir in diesem Leben nicht mehr gelingen wird. Bei jeder Bewegung stöhne ich gepeinigt auf. Man wird uns ansehen, was wir getan haben. Auch Jules wird es sehen … Sie werden sich ihr immer gleiches Bild davon machen. Linna, die Verführerin. Nur Falk weiß, wie stümperhaft ich mich dabei angestellt habe. Und trotzdem hat die Nacht mit ihm alles überboten, was ich bisher erlebt habe. Ich war vollkommen nackt.
Als ich neben sein Bett trete, um ihm Adieu zu sagen, wird Luna wach und setzt sich schnaufend auf. Ihr Schwanz klopft freundlich auf den Boden. Sie hat mir verziehen.
Erst jetzt begreife ich, was er mir heute Nacht erzählt hat. Aber tief in meinem Herzen weiß ich es schon lange.
»Du gehst wieder zurück, oder? Du gehst zurück.« Ich
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