Lippels Traum (German Edition)
früher, weil ich so hinter den Punkten her bin.«
»Danke! Vielen Dank, Frau Jeschke«, rief Lippel. »Vielleicht habe ich bis zum Ende der Woche doch noch hundert Punkte. Im Augenblick verliere ich allerdings fast mehr Punkte, als ich bekomme!«
»Du verlierst Punkte? Das darf doch nicht wahr sein!«, sagte Frau Jeschke und lachte. »Ausgerechnet du, der sonst wie ein Luchs darauf aufpasst!«
»Ich bin nicht schuld daran«, sagte Lippel und erzählte die ganze Geschichte mit Frau Jakob, den Sammelpunkten, der Tomatensoße und dem Buch.
Frau Jeschke hörte aufmerksam zu und schüttelte ab und zu ungläubig den Kopf.
»Zu dumm!«, sagte sie, als er fertig war. »Und nun ist dein Buch weg und du weißt nicht, wie die Geschichte weitergeht. Ich kenne das. Ich lese nämlich immer den Roman in der Zeitung und kann es kaum erwarten, bis am nächsten Tag die neue Zeitung mit der Fortsetzung kommt. Aber du musst nicht nur einen Tag warten, sondern fast eine Woche! Zu dumm!«
»Ja, das ist wirklich dumm«, sagte Lippel. »Obwohl ich mir schon denken kann, wie die Geschichte weitergeht: Ich hab sie nämlich weitergeträumt!«
»Weitergeträumt? Das ist vielleicht schlau!« Frau Jeschke lachte anerkennend. »Träumt die Geschichte einfach weiter! Sehr schlau!«
»Ganz so schlau ist das auch nicht. Ich habe sie ja nur ein Stück weitergeträumt. Sie ist noch lange nicht zu Ende.«
»Da hilft nur ein Fortsetzungstraum«, sagte Frau Jeschke eifrig. »Vielleicht hast du Glück!«
»Was ist denn ein Fortsetzungstraum?«
»Hast du das noch nie erlebt? Ich habe auch nur selten Fortsetzungsträume, offen gesagt. Aber wenn ich sie erlebe, sind es für mich die schönsten Träume überhaupt!«
»Jetzt weiß ich aber immer noch nicht, was das ist!«
»Wie soll ich das erklären?« Frau Jeschke dachte nach. »Ungefähr so: Man träumt eine Geschichte. Dann ist die Nacht vorbei und der Traum ist zu Ende, aber noch nicht die Geschichte. Und in der nächsten Nacht träumt man einfach da weiter, wo man letzte Nacht aufhören musste. So lange, bis die Geschichte zu Ende ist.«
»Und das geht?«
»Nicht immer. Aber manchmal hat man Glück. Dann geht es«, versicherte Frau Jeschke.
Lippel hatte noch eine andere Frage. »Gibt es das wohl, dass verschiedene Menschen die gleiche Geschichte träumen? Wenn ich von Arslan und Hamide träume, ist es möglich, dass sie dann auch von mir träumen?«
Frau Jeschke wiegte unschlüssig den Kopf hin und her.
»Unmöglich ist es nicht. Aber ich glaube nicht, dass so etwas vorkommt«, meinte sie dann. »Und wer ist eigentlich dieser …«
»Arslan«, ergänzte Lippel. »Arslan und Hamide. Das sind zwei Neue aus meiner Klasse. Arslan redet nicht, weil in den Sternen stand – ach nein, das war ja Asslam, der Prinz. Der darf nicht reden.«
»Und der geht in deine Klasse?«
»Nein, nein. Der ist aus meinem Traum.«
»Und der redet nicht?«
»Ja, genau. Der aus meiner Klasse heißt Arslan.«
»Ich verstehe! Und der redet natürlich!« Frau Jeschke nickte.
»Nein, der redet eben nicht!«, widersprach Lippel.
»Der redet auch nicht?«, fragte Frau Jeschke. »Das ist aber kompliziert.«
»Mit Hamide ist das auch nicht einfacher«, sagte Lippel. »Die heißt nämlich im Traum auch Hamide und außerdem hat sie ein rotes Kopftuch mit Blumen, das mich vor einem Sandsturm geschützt hat.«
»Ah, ich verstehe: Die aus deinem Traum hat ein Kopftuch«, sagte Frau Jeschke und nickte wieder.
»Nein, die echte! Die aus meiner Klasse«, sagte Lippel.
»Das geht ja alles durcheinander. Man kennt sich ja gar nicht mehr aus!«, klagte Frau Jeschke. »Wer ist denn nun wer?«
»Eben!«, sagte Lippel. »Das ist ja das Schwierige. Genau das ist ja mein Problem! Ich muss die Geschichte unbedingt zu Ende träumen. Sonst kenne ich mich überhaupt nicht mehr aus.«
»Sage ich doch, sage ich doch!«, bestätigte Frau Jeschke. »Hier hilft nur ein Fortsetzungstraum.«
»Dann geh ich mal gleich wieder nach Hause«, sagte Lippel und stand auf. »Vielen Dank für die Punkte und vielen Dank für die lange Unterhaltung.«
»Du bist aber heute höflich«, sagte Frau Jeschke und lachte. »Warum willst du so schnell gehen? Es ist noch nicht einmal sieben Uhr. Esst ihr denn schon zu Abend?«
»Nein, nein. Ich muss ins Bett«, erklärte ihr Lippel im Weggehen. »Ich muss sofort schlafen, sonst träume ich die Geschichte nicht zu Ende.«
Natürlich regnete es wieder mal heftig, als er aus Frau Jeschkes Haus kam. Doch
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