Lippels Traum (German Edition)
diesmal hatte er seinen Regenmantel nicht dabei. Und obwohl er zurückrannte, so schnell er konnte, kam er tropfnass drüben an.
Frau Jakob rief ihn gleich in die Küche.
»Deine Eltern haben angerufen«, berichtete sie ihm und fügte spitz hinzu: »Aber du warst ja nicht da!«
»Was haben sie denn gesagt? Wie geht es ihnen denn?«, fragte Lippel aufgeregt. »Rufen sie noch mal an?«
»Ich glaube nicht«, sagte Frau Jakob. »Ich habe ihnen erzählt, dass es dir gut geht und dass du dich wohl fühlst.«
»Darf ich sie anrufen?«, fragte Lippel.
»Das hat keinen Zweck. Sie sind heute Abend nicht im Hotel. Deswegen haben sie ja am Nachmittag telefoniert«, sagte Frau Jakob. »Ich habe ihnen übrigens nicht verraten, dass du so ungezogen warst. Ich wollte sie nicht beunruhigen.«
»Schade«, sagte Lippel traurig.
»Schade?«, fragte Frau Jakob. »Hätte ich das mit dem Buch etwa sagen sollen?!«
»Ich meinte doch: Schade, dass ich nicht mit ihnen reden konnte«, sagte Lippel.
»Wer nachmittags nicht zu Hause ist, darf sich auch nicht beklagen, wenn er ein Telefongespräch versäumt!« Damit war dieses Thema für Frau Jakob beendet. »Und nun zieh dir deine nassen Sachen aus! Wir wollen zu Abend essen.«
Nach dem Abendessen (Reissalat mit hart gekochten Eiern) fragte Lippel: »Darf ich jetzt ins Bett gehen?«
Frau Jakob, die wohl annahm, sie hätte sich verhört, fragte zurück: »Was möchtest du?«
»Ins Bett gehen«, wiederholte Lippel.
»Warum denn das? Es ist doch noch hell draußen!«
»Ich kann ja die Vorhänge zuziehen.«
»Was willst du denn so früh im Bett?!«
»Schlafen!«
»Du kannst mir nicht erzählen, dass du schlafen willst! Du hast doch etwas vor! Denke nur nicht, du kannst dich wieder in diesem Wandschrank verstecken!«
»Nein, ich will wirklich schlafen.«
»Das erlaube ich nicht!«
»Wieso denn?«, fragte Lippel. »Warum darf ich denn nicht schlafen gehen?!«
»Weil – weil – weil das Geschirr noch abzutrocknen ist.« Das war ihr wohl gerade noch eingefallen. »Ich will schließlich nicht den ganzen Abwasch alleine machen.«
»Gut, dann mache ich das schnell und gehe dann ins Bett«, sagte Lippel, ließ gleich heißes Wasser ins Becken laufen, schüttete Spülmittel hinein und begann das Geschirr abzuspülen.
»Wieso denn so hastig? Es genügt, wenn du mir abtrocknen hilfst. Ich werde abspülen.« Frau Jakob war ganz unruhig. »Du hast doch etwas vor! Sag mir, was du vorhast!«
»Ich will schlafen«, sagte Lippel. »Nur schlafen.«
Frau Jakob wusch das Geschirr sehr, sehr gründlich und ausgiebig ab. Lippel stand daneben, das Geschirrtuch in der Hand, und wurde immer ungeduldiger. Schließlich gab es in der ganzen Küche nichts mehr abzuwaschen.
Frau Jakob sagte freundlich:
»Und jetzt willst du sicher noch ein wenig fernsehen, wie gestern Abend, ja? Na, ausnahmsweise sage ich mal nicht ›nein‹ dazu!«
Doch Lippel wollte nur ins Bett.
So blieb Frau Jakob nichts anderes übrig als Lippel zu ermahnen, sich vorher aber zu waschen, die Zähne zu putzen und die Haare zu kämmen.
»Warum soll ich mir denn die Haare kämmen? Ich geh ja doch ins Bett!«, protestierte Lippel.
»Na gut, du darfst es lassen«, erlaubte Frau Jakob großmütig. »Dann kommst du aber noch einmal und sagst mir gute Nacht, ja?«
»Meinetwegen«, sagte Lippel ungeduldig, wusch sich im Schnellgang, putzte die Zähne, dass die Zahnpastatröpfchen nur so durchs Bad schwirrten, rief Frau Jakob ein lautes, aber hastiges »Gute Nacht!« zu und konnte, endlich, ins Bett gehen.
Er deckte sich gut zu, wälzte sich erst auf die rechte, dann auf die linke Seite, und während er noch darüber nachdachte, wie sein letzter Traum eigentlich geendet hatte, war er auch schon eingeschlafen und fing an zu träumen.
Der zweite Traum
er Sandsturm wurde schwächer und hörte ebenso unvermittelt auf, wie er begonnen hatte.
Lippel richtete sich langsam auf, wischte den Sand aus seinem Gesicht und schüttelte sich, um die Sandkörner aus seinen Haaren und Kleidern zu schleudern.
Er guckte sich um. Bis zum Horizont dehnte sich die Wüste aus. Wohin er blickte:
nur Sand und flache Sanddünen.
Von der Oase war nichts zu sehen. Sein Pferd musste ziemlich weit gestürmt sein, ehe es ihn abgeworfen hatte. Durch den Sturm hatte er nicht abschätzen können, wie lange und wie weit er hinter den anderen hergeritten war.
Er hätte gern am Stand der Sonne festgestellt, aus welcher Richtung sie gekommen waren. Aber er konnte
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