Lippels Traum (German Edition)
hinunterrutschte und auf seinem Bauch landete.
Wieder schrien die Zuschauer auf. Ängstliche hielten sich die Augen zu, eine Frau fiel vor Schreck sogar in Ohnmacht und musste weggetragen werden.
Aber seine Kleider fingen nicht Feuer, wie es die Zuschauer befürchtet hatten, und Lippel fasste lässig in den Halsausschnitt seines Übergewandes und holte die Taschenlampe heraus.
Dann gab er durch Zeichen zu verstehen, dass jetzt eine besonders gefährliche Programmnummer folgen werde. Er wartete, bis alles mucksmäuschenstill war, öffnete seinen Mund, schob den oberen Teil der Taschenlampe hinein und blies die Backen auf, so fest er konnte.
»Unglaublich! Sein Kopf brennt innerlich! Er glüht richtig! Seht nur, wie rot sein Kopf ist! Er leuchtet!« Die Menge wagte nur zu flüstern.
Lippel nahm die Lampe wieder aus dem Mund, sagte »Mississippi!« und verbeugte sich.
Der Beifall schien kein Ende zu nehmen.
Doch plötzlich mischte sich das Geräusch von Hufschlägen in das Brausen des Beifalls. Drei Reiter in dunklen Mänteln kamen die Hauptstraße entlang auf den Marktplatz zugeritten. Lippel, der erhöht auf der Kiste stand, sah sie zuerst.
»Die Wächter! Dort kommen die Wächter!«, rief er Asslam und Hamide zu.
Der Anführer sagte etwas zu den beiden anderen Reitern und deutete auf Lippel.
»Sie haben mich erkannt! Schnell weg hier!«, schrie Lippel.
Asslam nahm den geldgefüllten Turban unter den Arm und drängte sich durch die dicht stehende Menge. Hamide folgte mit Muck, dahinter Lippel. Aber sie kamen nur langsam voran.
Die Reiter trieben ihre Pferde an und drängten sie rücksichtslos durch die Zuschauermenge. Sie näherten sich schnell.
In diesem Augenblick fegte ein heftiger Windstoß über den Markt und Sekunden später prasselte ein Regenschauer los. Die Fackeln verlöschten, es wurde dunkel auf dem Platz, die Menschen suchten Schutz vor dem Regen.
Vergeblich hielten die Reiter nach den drei Kindern Ausschau. Sie waren im Dunkeln, zwischen all den rennenden und rufenden Menschen, nicht mehr zu sehen.
Lippel lief hinter Asslam und Hamide in eine dunkle Gasse. Hamide hatte im Gedränge die Leine von Muck verloren, aber Muck rannte auch so hinterher.
Nach einer Weile blieben sie heftig atmend stehen und lauschten. Die Gasse lag still, die Häuser blieben dunkel, von den Reitern war nichts mehr zu hören.
Es regnete schon nicht mehr.
»Da hat das verrückte Wetter endlich auch mal was Gutes bewirkt«, flüsterte Lippel und schüttelte das Wasser aus seinen Haaren. »Es hat genau zur richtigen Zeit geregnet!«
Gleich darauf standen sie zum zweiten Mal vor der Herberge zum Wilden Kalifen. Die Tür war verschlossen. Lippel klopfte.
Das Gesicht der dicken Frau erschien in einem Fensterchen neben der Tür.
»Ach, ihr seid es! Arme Kinder, wie nasse Mäuse seht ihr aus!«, sagte sie mitleidig. »Wartet, ich öffne euch! Aber seid leise, mein Mann wird sonst wach!«
Sie schloss die Tür auf und ließ die drei mit dem Hund herein. »Ich kann euch doch nicht so nass da draußen stehen lassen«, sagte sie. »Ein Zimmer kann ich euch nicht geben, das lässt mein Mann nicht zu. Aber wir haben einen kleinen Stall für unseren Esel. Da könnt ihr für die Nacht unterschlüpfen. Es gibt Stroh da, zum Schlafen.«
»Wir brauchen nicht im Stall zu schlafen. Wir haben Geld genug«, sagte Lippel.
»Ist das wirklich wahr?«, fragte die dicke Frau.
Asslam hielt ihr den Turban hin, Lippel knipste seine Taschenlampe an und richtete den Strahl darauf. Der Turban war bis oben hin gefüllt mit großen und kleinen Geldmünzen.
Die Frau wusste gar nicht, worüber sie mehr staunen sollte: über das viele Geld oder über das seltsame Licht.
So bekamen die drei das beste Zimmer zugewiesen, mit weichen Strohsäcken, gefüllt mit frischem Stroh, und Kamelhaardecken zum Schutz gegen die Nachtkälte.
Lippel legte sich auf einen der Strohsäcke, deckte sich zu und versuchte einzuschlafen.
Irgendwann in der Nacht hörte er, wie sich Hamide durch das Zimmer tastete und dabei flüsterte: »Asslam? Asslam, wo bist du?«
Lippel richtete sich auf, er wusste nicht, ob er schon geschlafen hatte.
»Lippel!«, flüsterte Hamide jetzt. »Lippel, schläfst du?«
»Nein. Was ist denn los?«, flüsterte Lippel.
»Kannst du mal deine Wunderfackel anzünden? Ich glaube, Asslam ist weg«, flüsterte sie.
Lippel knipste die Taschenlampe an. Asslams Bett war leer. Muck, der vor Asslams Strohsack gelegen hatte, war auch
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