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Lippels Traum (German Edition)

Lippels Traum (German Edition)

Titel: Lippels Traum (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Maar
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kam Lippel schließlich bei der Schule an, ohne dass er die beiden Wurstbrote hätte verfüttern können.
    Heute konnte er sich Zeit lassen, auf der Schuluhr war es erst fünf vor acht.
    Gemächlich schlenderte er den Flur entlang, bis er plötzlich wie angewurzelt stehen blieb: Vor dem Klassenzimmer, auf dem Boden neben dem Papierkorb, lag der Armreif aus seinem Traum! Eine Weile starrte Lippel darauf und wagte es nicht, ihn aufzuheben. Er hatte Angst, er würde dann auf der Stelle aufwachen und feststellen, dass auch das hier ein Traum war.
    Schließlich bückte er sich doch und hob den Armreif auf. Es gab keinen Zweifel, es war der goldene Armreif der Prinzessin. Alles stimmte. Die Größe, die Form, das Muster und der rote Stein.
    Lippel war völlig verwirrt. Wie kam ein Gegenstand aus seinem Traum in die Schule?
    »Guten Morgen, Lippel«, sagte jemand neben ihm. Hamide war aus dem Klassenzimmer gekommen. »Du hast ja meinen Armreif! Hast du ihn gefunden? Toll! Ich habe schon ganzes Klassenzimmer ausgesucht. Danke!«, rief sie, nahm dem verblüfften Lippel den Armreif einfach weg und streifte ihn über ihre Hand.
    »Aber wieso ist das dein Armreif?«, fragte Lippel. »Der gehört dir doch gar nicht!«
    »Natürlich ist das meiner! Ich habe ihn doch gestern schon angehabt. Hast du ihn nicht gesehen?«
    »Gestern?«, fragte Lippel. »Ich weiß nicht. Gehört er wirklich dir?«

    »Ja, gehört mir!«, versicherte Hamide und ging mit Lippel ins Klassenzimmer.
    »Wo ist denn Arslan?«, fragte Lippel. »Ist er noch nicht da?«
    Hamide wurde verlegen. »Er – er ist weg. Er kommt heute nicht«, sagte sie leise. »Du darfst nicht verraten, dass er weg ist!«
    »Asslam ist weg«, sagte Lippel, mehr zu sich selbst. »Er ist also immer noch nicht wiedergekommen!«
    »Arslan«, verbesserte Hamide.
    »Ist doch egal«, sagte Lippel. »Ist ja doch das Gleiche.«
    Als dann Frau Klobe kam und nach Arslan fragte, behauptete Hamide, er wäre krank. Er hätte eine Erkältung.
    Lippel war den ganzen Vormittag geistesabwesend. Er starrte auf den Armreif an Hamides Handgelenk, schüttelte ab und zu den Kopf, murmelte vor sich hin und passte überhaupt nicht auf.
    Selbst in Deutsch, seinem Lieblingsfach, musste ihn Frau Klobe dreimal ansprechen, bis er überhaupt begriff, dass er gemeint war. Und dann konnte er nicht einmal ihre Frage beantworten, auch nicht, als sie sie wiederholte.
    »Philipp, was ist los mit dir?«, fragte sie. »Ich weiß ja, dass du manchmal verträumt bist. Aber so zerstreut habe ich dich noch nie erlebt. Ich fürchte, du wirst auch krank. Vielleicht hast du dich bei Arslan angesteckt. Sag deiner Mutter, sie soll bei dir mal Fieber messen!«
    »Meine Mutter kann kein Fieber messen, weil sie weg ist und erst am Montag wiederkommt«, sagte Lippel.
    »Und dein Vater?«
    »Ist auch weg!«
    »Ja, bist du denn ganz alleine?«, sagte Frau Klobe besorgt. »Nein, die Frau Jakob sorgt für mich«, versicherte er ihr.
    »Jetzt weiß ich, warum du so unaufmerksam bist«, sagte Frau Klobe. »Ohne Eltern! Da muss man ja zerstreut sein.«
    Lippel ließ sie in ihrem Glauben.
    In Wirklichkeit hatte seine Zerstreutheit weder etwas mit Frau Jakob zu tun noch mit seinen Eltern. Er konnte sich einfach nicht erklären, wieso Dinge aus einem Traum plötzlich in der richtigen Welt landeten!

Arslan
    Nach der Schule ging er mit Hamide die Herderstraße entlang. »Was ist los mit dir? Warum redest du gar nicht?«, fragte sie nach einer Weile und schaute ihn prüfend von der Seite an. »Bist du böse mit mir?«
    »Nein, nein! Ich denke nur nach. Ich kriege alles nicht zusammen«, sagte Lippel. »Arslan ist weg, Asslam ist weg. Und du sagst, das wäre dein Armreif!«
    »Ja, ist mein Armreif.«
    »Ist das echtes Gold?«
    »Gold? Nein! Sieht nur so aus. Ist schön, nicht?«
    »Ja, ja«, antwortete Lippel zerstreut. Dann wäre die dicke Wirtin aber ganz schön reingefallen, wenn sie ihn als Pfand genommen hätte, dachte er. Wenn er gar nicht aus Gold ist!
    Langsam gingen sie nebeneinanderher.
    Vor einem Hauseingang sahen sie einen Jungen auf den Stufen sitzen. Er hatte den Kopf zurückgelehnt und sonnte sich. Eine Frau mit einer dicken Einkaufstüte kam vorbei, schimpfte auf ihn ein und jagte ihn mit einer drohenden Gebärde von den Stufen.
    Der Junge schaute sie betroffen an und stand auf.
    Es war Arslan.
    »Arslan! Wo kommst du her? Bist du denn nicht krank? Wo warst du denn heute Morgen?«, rief Lippel.
    Arslan zuckte mit den Schultern.

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