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Lippenstift statt Treppenlift

Lippenstift statt Treppenlift

Titel: Lippenstift statt Treppenlift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johanna Urban
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fuhren Andreas und Linus wieder nach Hause zurück. Aber mittlerweile hatten die Supermärkte schon geschlossen.
    »Na, dann wart ihr ja ganz schön unterwegs am Wochenende …«, sagte ich.
    »Oh ja. Man braucht keine Hobbys, wenn man Omas in der Familie hat«, seufzte mein Mann. Nein, für Hobbys ist bei uns in der Familie gerade nicht die richtige Zeit. Eher vielleicht mal für einen Altenpflegekurs.
    Apropos: »Da fällt mir ein, dass ich jetzt wohl endlich mal Oma anrufen sollte«, sagte ich. Das konnte ich auf Reisen nämlich eine ganze Woche lang nicht tun, weil Mamas Krankenhausanschluss nicht aus dem Ausland anwählbar war. Es war wie Urlaub! Ich schäme mich ein bisschen, das zuzugeben, aber es ist so.
    »Hallo Mama, ich bin’s«, sagte ich ins Telefon, in der notwendigen Schwerhörigen-Lautstärke, sodass die Leute an den anderen Tischen erschrocken von ihren Tellern hochblickten. Oma hörte mich trotzdem nicht. »Ich bin’s! Ihich! JOHANNA ! Deine Tochter! Morgen früh um zehn Uhr komme ich und hole dich ab!«
    Mama saß schon seit 6 Uhr 30 in Jacke und Schuhen auf dem harten Plastikstuhl neben dem Krankenhausbett und wartete auf mich.
    »Aber Mama, du wusstest doch, dass ich erst um zehn komme!«
    »Ich dachte, vielleicht kommst du doch früher.«
    »Warum hast du dir denn nicht wenigstens was zum Lesen geholt?«
    »Na hör mal!«, sagte Mama. »Wieso soll ich anfangen, etwas zu lesen, wenn du jeden Moment kommst und mich abholst!?«
    Ich seufzte. Anscheinend hatte sich nicht viel verändert.
    Dann stellte sich erst heraus, dass doch einiges passiert war.
    Erstens: Die Blasenentzündung war abgeklungen, und Mama war nicht mehr so durcheinander. Sie wusste wieder einigermaßen, wie viele Tabletten sie täglich einnehmen musste: »Also, hör zu: ein Captopril morgens und ein Amlodipin, auch morgens. Und ein KHS . Und dann abends kein KHS und kein Amlodipin. Aber ein Captopril. Und morgens wieder ein Captopril …«
    »Ja, Mama, ist gut, ich glaub’s dir ja …«
    »Nein, hör mir zu: Morgens ein Captopril und auch ein Amlodipin und …«
    »Jaaahaaa, Mama. Ich hab’s verstanden …«
    Zweitens: Die nächtlichen Bauchschmerzen waren weg!
    »Nicht ein einziges Mal hatte ich Bauchschmerzen hier!«, sagte Mama stolz, als wäre das ihre Leistung.
    »Soso«, sagte ich. »Und wie war das Essen so hier im Krankenhaus?«
    »Sehr gut!«, lobte Mama. »Man kann wirklich nicht klagen!«
    »Und du hast immer alles schön aufgegessen, auch abends?«
    »Natürlich, es stand ja direkt vor meiner Nase!«
    »Und niemals Bauchschmerzen?«
    »Nicht ein einziges Mal!«, strahlte Mama.
    Soso!
    Und drittens: »Die Tabletten vom Neurologen muss ich jetzt auch noch schlucken! Wegen der Amnesie«, sagte Mama.
    »Mama: Du bist ein bisschen dement. Amnesie ist was anders, das ist …« Aber sie hörte mir gar nicht zu.
    Schließlich nahm ich sie fest an der Hand, und wir gingen zum Auto, und mit der anderen Hand zog ich ihren roten Rollkoffer mit den zwanzig Nachthemden hinter uns her, denn sie selbst hätte ihn niemals gezogen – für so etwas fühlte sie sich viel zu jung.

Viel Spaß mit der Caritas!
    W ir waren längst schon aus dem Krankenhaus zurückgekehrt in die Wohnung, aber Mama hatte noch nicht einmal die Straßenschuhe abgestreift und saß hyperventilierend im Wohnzimmer auf der äußersten Kante ihres Sofas.
    »Bald kommen sie, oder?«, sagte sie. »Oh Gott, oh Gott! Das macht mich fix und fertig!« Dabei nagte sie an ihrer Unterlippe und knetete nervös ihre Hände.
    »Ganz ruhig, Mama, sie kommen noch lange nicht. Erst zwischen fünf und acht, also kannst du in aller Ruhe …«
    » RUHE ? Wie kann ich RUHIG sein, wenn DIE jetzt kommen?!«
    »Mama, sie kommen doch noch gar nicht. Es sind noch mindestens fünf Stunden. Wir haben erst zwölf Uhr«, versuchte ich sie zu beruhigen, aber es gelang mir natürlich nicht.
    »Aha! Dann muss ich wohl jetzt den ganzen Tag hier zu Hause warten, bis sie kommen?«, schimpfte sie.
    »Nein, das sagt doch kein Mensch. Bis fünf kannst du doch machen, was du willst, einkaufen gehen, in die Stadt fahren …«
    »Ich kann doch nicht in die Stadt fahren, wenn DIE kommen!«
    DIE – das war nicht etwa die Polizei, die meine Mutter ins Gefängnis abtransportieren wollte, oder die Männer in Weiß mit der Zwangsjacke. Es war überhaupt niemand Beängstigendes, sondern nur die Altenpfleger vom Pflegedienst der Caritas. Für Mama allerdings war der Pflegedienst ihr neues Captopril. Nur ohne

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