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Lippenstift statt Treppenlift

Lippenstift statt Treppenlift

Titel: Lippenstift statt Treppenlift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johanna Urban
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Ungetüme mit langen, verworrenen Kabeln dran. Mama betrachtete sie sorgenvoll und biss sich auf die Unterlippe. Ich versuchte ihr zu erklären, dass die modernen Geräte keineswegs so aussehen, aber weil davon kein einziges ausgestellt war, konnte ich nicht wirklich zu ihr durchdringen.
    Die hübsche junge Dame – sie hieß Frau Wolf – bat uns in einen Raum mit einem Computer und fragte Mama: »Seit wann hören Sie denn schlecht?«
    Mama verstand kein Wort, und ehrlich gesagt hatte auch ich Schwierigkeiten, Frau Wolf zu verstehen, weil sie so leise sprach. Schließlich, nach langem Hin und Her, hatte sie eine Art Aufnahmebogen in den Computer getippt, und dann ging es richtig los.
    »Jetzt beginnen wir mit dem eigentlichen Hörtest«, säuselte Frau Wolf. Sie verpasste Mama einen Kopfhörer, auf dem bestimmte Wörter von Band zu hören waren, die Mama nachsagen sollte. Mama hörte aber gar nichts, da stellte Frau Wolf lauter, aber Mama hörte immer noch gar nichts. Schließlich drehte Frau Wolf so laut, dass sogar ich jedes Wort verstehen konnte, dabei trug ich den Kopfhörer ja nicht und saß auch gut einen Meter hinter Mama. Zu hören war eine sonore Herrenstimme, die folgende Worte formulierte: »Gracht, Krach, wach, Schmach, lacht, Pacht, kracht.«
    »Was soll das, das ist doch Blödsinn«, sagte Mama.
    »Wollen Sie bitte die Wörter einfach nachsprechen«, flüsterte Frau Wolf.
    »Aber ich verstehe das nicht. Was soll das denn heißen?«, wunderte sich meine Mutter, und es dauerte ziemlich lange, bis wir ihr klargemacht hatten, dass es bei dieser Übung gar nicht darum ging, einen Zusammenhang herzustellen, sondern dass sie einfach nachsprechen sollte. Und wäre ich nicht mitgekommen, hätte Frau Wolf (die mir mit ihrem leisen Gemurmel zunehmend auf die Nerven fiel) wohl noch lange leise wie ein Mäuschen auf meine völlig verständnislos dreinblickende Mutter eingewispert.
    So aber nahm ich die Angelegenheit resolut in die Hand und rief laut und vernehmlich: » SPRICH HALT EINFACH NACH !«, und Mama blickte mich einigermaßen beleidigt an – aber sie tat, was verlangt war, und das klang so: »Graaach, Graaach, Graaach, Graaach, Graaach, Graaach Graaach.«
    Und so erkannten Frau Wolf und ich, dass sie die ganze Zeit über nur sonderbare Kratzlaute verstanden hatte, und dass Frau Wolf das Band NOCH lauter stellen musste, und da kam dann endlich fast das Richtige raus: »Gracht, Krach, wach, Schmach, lacht, Pacht, kracht«, machte die Herrenstimme.
    »Krach, Krach, Bach, mach, pach, Krach«, sagte Mama, und Frau Flüster-Wolf lächelte fein und freute sich: »Schon besser!«
    So ging das dann eine Weile mit den merkwürdigsten Wortreihen. Aber dann waren wir immer noch nicht fertig. Nun schickte Frau Wolf Pieplaute durch den Kopfhörer, und Mama sollte sofort Bescheid geben, wenn sie die Pieplaute vernahm.
    »Also, es geht los!«, sagte Frau Wolf mit ihrem feinen Stimmchen und tippte auf ihre Tastatur.
    Nichts passierte.
    Frau Wolf blickte irritiert, dann tippte sie wieder ein paar Tasten.
    Keine Reaktion.
    »Haben Sie denn gar nichts gehört?«, fragte Frau Wolf beunruhigt.
    »Schon«, sagte Mama.
    »Aber warum sagen Sie denn nichts?!«
    »Ich wollte doch erst ganz sichergehen!«, sagte Mama.
    Frau Wolf atmete tief durch, dann wandte sie sich wieder an Mama und sagte, mit betont leiser Stimme: »Bitte. Geben. Sie. Einfach. Laut. Sobald. Sie. Etwas. Vernehmen.« Dann versuchte sie, Mama anzulächeln. Es klappte nicht wirklich.
    Langsam wurde mir klar, warum Frau Wolf derart leise sprach. Wahrscheinlich war das eine Maßnahme, die man bei der Ausbildung zum Hörgeräteakustiker eingeimpft bekam. Wenn man nämlich all den schwerhörigen alten Menschen, die jeden Tag in solch einen Hörgeräteladen kommen, alles achtzehn Mal ins Ohr brüllt, hat man logischerweise bald gar keine Stimme mehr. Darum schont man sie besser.
    Als Nächstes sandte Frau Wolf Mama einen schmerzhaft lauten Ton über den Kopfhörer, und Mama musste sagen, wann sie ihn nicht mehr aushielt. Das machte Mama ganz gut. Allerdings war das der Moment, in dem mir klar wurde, warum Ömis Hörgerät nicht funktionierte: An diesem Punkt des Tests hatte meine Schwiegermutter den Schmerz bestimmt ausgehalten bis ultimo – ganz wie es ihre Art war. Deswegen rief ich gleich meinen Mann an, der umgehend einen neuen Termin im Hörgerätecenter für Ömi vereinbarte – diesmal mit ihm.
    Schließlich bekam Mama Geräusche in unterschiedlichen Abständen

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