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Lippenstift statt Treppenlift

Lippenstift statt Treppenlift

Titel: Lippenstift statt Treppenlift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johanna Urban
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albern.
    Jedenfalls war ich dann fast eine Sekunde lang gerührt, als Mama bei unserem dritten Besuch im Hörgeräteladen eine kleine Lobeshymne auf mich anstimmte:
    »Sie ahnen ja gar nicht, wie sehr meine Tochter mir hilft!«, sagte sie zu Frau Wolf. »Dabei hat sie auch ohne mich schon genug zu tun, mit den Kindern und ihrer Arbeit und allem!«
    Im selben Moment war es mir dann auch wieder entsetzlich peinlich, und ich wünschte mich weit fort, denn das alles geht ja niemanden etwas an.
    Aber es kam noch übler: Nur einen Moment später schlug Mamas Laune um, und statt mich vor der Hörgeräteakustikerin zu preisen, begann sie, mich anzufauchen. Das Hörgerät war nämlich da. Und damit Mamas panische Angst davor.
    »Und was, wenn ich es nicht einsetzen kann?!?«, sorgte sie sich.
    »Keine Sorge, Mama, das ist sicher ganz einfach«, sagte ich.
    » EINFACH ?«, kreischte Mama. »Ach! Meinst DU wohl!« (achtzehn Kugelblitze).
    Frau Wolf blickte auf ihre Schuhspitzen. Ich beneidete sie nicht um ihren Job. Andererseits: Es war unwahrscheinlich, dass die anderen schwerhörigen alten Leute sich so verhielten wie Mama. Sie ist in ihrer Art schon einzigartig.
    »Sie werden sich sicher ganz bald an das Hörgerät gewöhnt haben«, flötete Frau Wolf, ohne den Blick von ihren Schuhen zu heben.
    »Und wenn nicht?!?«, polterte Mama, mittlerweile vollends hysterisch. »Was, wenn ich nie lerne, diese DINGER einzusetzen?!«
    »Aber das ist doch gar nicht so schwierig, das hat noch jeder irgendwann ….«, verlor sich Frau Wolfs kleine Stimme.
    »Aber ICH vielleicht NICHT !!!«, rief Mama, die ich selten so echauffiert erlebt hatte.
    Aber es half ja nichts: »Jetzt probier’s doch einfach mal aus!«, herrschte ich sie an.
    Da erst nahm sie endlich die »Dinger« und setzte sie sich in die Ohren. Es klappte sofort.
    Der Heimweg kam mir vor wie ein merkwürdiger Film: Wir fuhren im Auto, und alle paar Minuten verstummte Mama und blickte sich augenrollend um. Ich verstand erst gar nicht, was diese Pantomime sollte.
    Erst im Treppenhaus: Es war zwischen dem zweiten und dem dritten Stock, als sie plötzlich bewegungslos verharrte. Sie hörte!
    »Was ist das?«, fragte Mama.
    »Was meinst du?«
    »Na, dieses Geräusch!«, sagte sie.
    Unten, an der Straße, war gerade die Müllabfuhr zugange. Der Motor des orangefarbenen Fahrzeugs lief, die Müllmänner rollten die Tonnen polternd über den Bürgersteig, dann ertönte das typische Dröhnen, das immer erklingt, wenn die Tonnen von der Hebevorrichtung nach oben gehoben und ausgekippt werden.
    »Da, guck mal, da unten siehst du’s!«, lachte ich und zog sie zum Fenster im Zwischengeschoss. »Das ist die Müllabfuhr! Lange Zeit konntest du ja all die Geräusche des Alltags gar nicht mehr hören. Aber jetzt hörst du sie wieder. Toll, oder!«
    »Die Müllabfuhr? Die machen diesen furchtbaren Lärm?«, sagte Mama. »Nein, das wollte ich überhaupt nicht hören!«

Geduldsfäden oder: Hilfe, meine Mutter macht mich verrückt!
    M eine Tochter Ida ist nun sechzehn Jahre alt, und oft haben wir Streit. Nicht (oder nicht nur), weil sie ihr Zimmer nicht aufräumt oder abends später nach Hause kommt als ausgemacht. Sondern wegen Oma.
    »Sei nicht so genervt mit ihr«, tadelt sie mich oft, und sofort bekomme ich ein entsetzlich schlechtes Gewissen und zugleich das Gefühl, mich rechtfertigen zu müssen.
    »Wieso genervt, bin ich doch überhaupt nicht!«, stammle ich.
    »Natürlich! Du schreist sie ja regelrecht an!«, sagt Ida.
    »Ich spreche nur laut, sonst versteht sie doch kein Wort! Aber ich schreie sie nicht an. Das klingt nur so!«, verteidige ich mich.
    »Das ist eine ALTE FRAU ! Die kann doch nichts dafür, dass sie so ist, wie sie ist!«, sagt meine Sechzehnjährige.
    Danke für die Belehrung.
    Wenige Minuten später habe ich die alte Frau, die nichts dafür kann, am Apparat. Statt einer Begrüßung sagt sie:
    »Du musst kommen, ich habe Post gekriegt, die kapier ich nicht! Jetzt sofort!«
    Oder sie sagt: »Die Eisentabletten gehen aus, ich will, dass du mir gleich neue bringst.«
    Oder: »Du sollst Batterien für mein Hörgerät besorgen. Aber nicht aus dem Internet, die will ich nicht. Geh zum Hörgeräteakustiker. Am besten heute!«
    Oder: »Du musst mich zum Zahnarzt fahren! Meine Beine tun zurzeit so weh, ich kann nicht zu Fuß gehen.«
    Ich sage: »Da kannst du doch selbst hin. Du sollst dich doch bewegen, sagte der Arzt. Es ist doch nicht so weit.«
    Dann bekomme ich sofort ein

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