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Lippenstift statt Treppenlift

Lippenstift statt Treppenlift

Titel: Lippenstift statt Treppenlift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johanna Urban
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sie sich kaum noch rühren können, und dann ist’s meist bald vorbei mit Gassi gehen, denn dazu sind die Tiere dann viel zu faul. Das Überfüttern von Haustieren hat in ihrer Familie bereits Tradition, laut Legende war seinerzeit schon der Dackel ihrer Mutter so dick, dass er mit dem Bauch den Boden aufwischen konnte.
    Ömi hätte es vergangenen Sommer auch fast geschafft, unsere Zwerghasen, die wir ihr zur Pflege gebracht hatten, zum Platzen zu bringen: Unvorsichtigerweise hatte mein Sohn erwähnt, dass die beiden Feldsalat lieben. Und sie bekamen Feldsalat. Ömi holte ihn täglich frisch aus dem Supermarkt und verarbeitete ihn Blatt für Blatt. Bis Mümmel und Micki jede Essenszufuhr verweigerten. Ömi war untröstlich und rannte zu zwei unterschiedlichen Tierärzten. Sie wollte nicht einsehen, dass die Hasen einfach pappsatt waren.
    Der Hund von Markus und Claudia und ihrem Sohn Moritz heißt Toni, er ist ein Retriever-Mischling aus dem Tierheim, und leider hat er einen empfindlichen Magen: Er verträgt nur ausgewiesenes Hundefutter, von allen anderen Nahrungsmitteln muss er spucken. Er übergibt sich in den Gang, aufs Sofa, neben Ömis Kachelofen und – regelmäßig nach Besuchen bei Ömi – in Markus’ karamellfarbenen 1er- BMW . Der Geruch geht schon nicht mehr aus dem Auto raus, sagt Claudia.
    Ömi allerdings hat bezüglich des Fütterns ihre ganz eigene Theorie: Sie denkt, Claudia und Markus füttern ihren Hund (und ihr Kind) viel zu wenig. Moritz allerdings kann sie nicht so einfach etwas zustecken, der ist ziemlich wählerisch. Toni dagegen frisst alles. Dadurch fühlt Ömi sich in ihrer Theorie, der Hund leide Hunger, bestätigt. Dass er später kotzt, blendet sie völlig aus.
    Wenn wir gemeinsam beim Essen sitzen, hockt Toni immer erwartungsvoll neben Ömi. Da wandern dann unauffällig Würste und Klöße und Bratkartoffeln und Salami und sogar ganze Marmeladenbrote nach unten.
    »Ömi!«, ruft Markus dann aus. »Nicht! Der Hund verträgt doch kein Brot!«
    Der Blick, den Ömi dann aufsetzt, ist unnachahmlich: Eine Mischung aus Unschuldslamm und »Du-kannst-mich-mal!«.
    Später gibt es Kuchen, da wirft sie Toni Makronen und Baiserhäubchen und Schokoglasuren runter, und einmal stellte sie das ganze Bleikristall-Schüsselchen voll fetter Schlagsahne unten auf den Teppich.
    Das war dann zu viel für Markus. »Elsbeth, jetzt reicht’s!«, sagte er, ziemlich laut. Meine Tochter zuckte zusammen. Später hörte ich sie in der Küche mit Markus debattieren: »Aber das ist eine ALTE FRAU !« Doch er ließ sich nicht beruhigen.
    Weil Claudia und Markus daraufhin androhten, nie wieder zu Besuch zu kommen, füttert Ömi den Hund nun total unauffällig. Wahrscheinlich nutzt sie die Momente, in denen wir uns alle zuprosten, oder wenn jeder am Tisch gerade auf seinen Teller herabblickt. Es kommt aber trotzdem jedes Mal heraus, nämlich dann, wenn Toni kotzt: halbverdaute Salamischeiben, große Stücke Wiener Würstchen oder Weihnachtsgebäck. »Mir reißt noch mal der Geduldsfaden«, sagt Markus, wenn er die Sauerei wegwischt.
    Was meinen Mann im Haus seiner Mutter zum Ausflippen bringen könnte, ist die Hitze. Ömi dreht immer ausnahmslos jede Heizung im Haus voll auf und wirft gleichzeitig so viel Brennholz in den Kachelofen, wie nur hineingeht. Nicht nur, weil sie selbst sonst frieren würde, sondern auch aus Angst, unsere Kinder könnten sich bei ihr eine Erkältung holen. Übrigens auch noch im April und im Mai. Oder im Juni, Juli, wenn es draußen nur ein wenig bedeckt ist. Das Ganze ist ein bisschen so wie das Überfüttern von Haustieren, nur in Grad Celsius: einfach zu viel.
    Wenn wir das Haus betreten, kommt uns bereits ein Schwall warmer Luft entgegen, der Schweiß bricht uns aus den Poren, und mein Mann bekommt vor Ärger rote Wangen. Er ist es nämlich, der sich alljährlich um das Auffüllen des Heizöltanks kümmern und die Ladung außerdem bezahlen muss, denn Ömi sagt immer, sie habe zwar das große Haus, aber gar kein Geld.
    »Mach jetzt bloß keinen Aufstand!«, raunen wir ihm zu, wenn wir Ömis Haus betreten: Wir kommen ja schließlich nicht zu Ömi, um sie zurechtzuweisen, sondern damit sie sich freut.
    An der Garderobe ziehen wir dann nicht nur unsere Jacken aus, sondern meistens auch noch unsere Pullis und Blusen und laufen die ganze Zeit in T-Shirts oder Trägerhemdchen rum, und die Kinder streifen ihre Socken ab. Mein Mann, der zu viel Hitze im Haus einfach nicht erträgt, geht dann von

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