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Lippenstift statt Treppenlift

Lippenstift statt Treppenlift

Titel: Lippenstift statt Treppenlift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johanna Urban
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    »Und wenn dies, und wenn das! Die macht mich noch wahnsinnig! Die macht mich verrückt! Die ist doch zum Ausflippen! Zum Aus-der-Haut-Fahren!«, regte ich mich zu Hause dann auf (und ignorierte Idas vorwurfsvollen Blick).
    Aber es gibt auch Momente, da tut sie mir furchtbar leid. So wie an erwähntem Tag, als sie anrief, weil sie zum Zahnarzt musste. Die ganze Geschichte ging so:
    Eines Morgens wachte Mama auf, da hatte sie zwei Zähne auf der Zunge. Das waren aber keine echten, sondern falsche, die sich irgendwie nachts gelöst hatten. Dies passierte an einem Freitag, doch da bekamen wir noch keinen Termin.
    »Mama, tut’s denn weh?«, fragte ich, und sie sagte: »Nein!« Na gut. Dann hatte das ja bis Montag Zeit.
    Am Samstag rief ich an, und Mama ging es gut. »Wenn nur der Hunger nicht wäre!«, sagte sie. Und so stellte sich heraus, dass die beiden Zähne die Eckpfeiler eines Gebiss-Konstruktes waren, das durch ihr Fehlen nun locker war. Deswegen konnte sie gar nichts beißen.
    »Mach dir doch eine Suppe!«, schlug ich vor.
    »Das habe ich schon. Ich habe Haferflocken in Wasser aufgekocht und winzig kleine Stückchen Toastbrot darin aufgelöst. Mach dir keine Sorgen, alles kein Problem!«
    Wasser-Haferflocken-Suppe mit Toastkrümeln?!? Sofort kochte ich zwei leckere, reichhaltige Gemüsecremesuppen, kaufte zudem einen Satz Frucht-Smoothies und schickte Ida wie Rotkäppchen damit zur kranken Großmutter. Und die war auch tatsächlich ganz gerührt.
    Dann war Montag, und ich schaffte es sogar um zwanzig vor vier zu ihr, um sie wie verabredet zum Zahnarzt zu bringen. Wir fanden sofort einen Parkplatz, und es gab in der Straße nicht mal einen Radweg. Alles lief prima. Und wenn Mama die beiden Zähne, die sie in ein Tempotaschentuch gewickelt hatte, beim Wiederauswickeln im Behandlungsraum nicht heruntergefallen wären, wäre es ein Termin ganz ohne Stress und Probleme gewesen. Aber so war es auch nicht schlimm, denn die Zahnärztin und die zwei Sprechstundenhilfen und Mama und ich krochen lediglich fünf oder zehn Minuten auf dem Boden herum, und dann hatten wir die Zähne auch schon wieder gefunden.
    »Wir kleben sie wieder an, und mit ein bisschen Glück hält alles wieder eine Zeit lang«, sagte die Zahnärztin.
    »Und wenn nicht?«, fragte Mama. Winzig klein war sie, wie sie da saß, beziehungsweise lag, wie man heute auf Zahnarztliegen so liegt. Mit Panik in den Augen blickte sie umher, und ich hätte am liebsten ihre Hand gehalten. Aber das tut man beim Zahnarzt wohl nur bei Kindern. In diesem Moment kam sie mir allerdings vor wie ein Kind, wie eines meiner Kinder, als die noch kleiner waren.
    Mama hatte zwar keine Angst vor Schmerzen und davor, dass der Zahnarzt bohrt, denn da nimmt sie sowieso eine Betäubungsspritze. Aber sie hatte Angst, dass das Kleben nicht ausreichen würde. Dass sie ein aufwendiges neues Zahnkonstrukt brauchen könnte, dass sie zudem ständig zum Zahnarzt müsste, dass alles ewig dauern und schrecklich viel Geld kosten könnte. Sie hatte Angst vor allem, was man sich so vorstellen kann. Eigentlich hat Mama in letzter Zeit immer irgendwie Angst.
    Ein paar Minuten später waren wir dann auch schon fertig, und ich hatte sogar noch Zeit, sie heimzufahren. Ich fühlte mich gut. Ich hatte mich prima um alles gekümmert. Keiner konnte mir etwas vorwerfen.
    »Das ist gut, dass du mich fährst, denn zu Fuß dauert es genau neunzehn Minuten dorthin. Das ist ganz schön lang!«, sagte Mama im Wagen.
    »Neunzehn Minuten, lustig – das hast du dir noch vom letzten Mal gemerkt, als du hier warst?«, fragte ich leichthin.
    »Nein, ich bin den Weg abgegangen, am Freitag und am Samstag. Und am Sonntag sogar zweimal. Und es dauert bei mir immer ungefähr so lang!«
    »Du bist den Weg abgegangen! Und am Sonntag sogar ZWEI MAL ! Ich dachte, dir tun die Beine so weh!«
    »Schon, aber ich wollte ja wissen, wie lange ich brauche, falls du nicht kommst!«
    »Aber ich habe doch gesagt, dass ich komme!«
    »Schon, aber ich wollte wissen, wie lange ich brauche, falls du trotzdem nicht kommst!«
    »Aber du warst doch schon x-mal hier!«
    »Schon. Aber ich wollte sichergehen.«
    »Und dazu habe ich mir den ganzen Stress gemacht und die Kollegin eingespannt. Dabei kann sie locker auch zu Fuß hingehen!«, schäumte ich zu Hause. »Sie geht da ja öfter hin! Nämlich täglich! Oder manchmal sogar ZWEI MAL TÄGLICH !!! Und ich mach das ganze Büro mobil …«
    »Mami, beruhig dich«, sagte Ida. »Das ist eine

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