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Lippenstift statt Treppenlift

Lippenstift statt Treppenlift

Titel: Lippenstift statt Treppenlift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johanna Urban
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Weißwurstfrühstück an, und Ömi kaufte beim Metzger sage und schreibe zwölf Weißwürste ein – für drei Personen. Acht davon fand mein Mann ein paar Tage später verdorben im Kühlschrank und entsorgte sie im Müll.
    Beim letzten Familientreffen bat Markus um etwas Alufolie, denn er wollte für Moritz ein wenig übrig gebliebenen Kuchen einpacken (bei Ömi bleibt immer Kuchen für uns übrig, so etwa eine bis zwei Torten pro Besuch). Markus kramte in der Speisekammer, dann hörten wir ihn prusten, und schließlich holte er uns (Ömi war gerade im Garten) in die Kammer, wo ein Schrank offen stand.
    Er war voll mit Rollen von Aluminiumpapier, von ganz oben bis ganz unten, genug Aluminium, um den Flügel einer Boeing daraus zu gießen.
    Der Schrank daneben übrigens war mit Plastiktüten gefüllt, allesamt ordentlich auf Kante gefaltet und gestapelt wie Leintücher im Wäscheschrank. Mein Mann kramte ein wenig darin herum, dann fand er ein paar Exemplare von Tchibo, Hertie, Karstadt und Ähnlichem aus den Sechzigerjahren. Die spannte er hinter Glas und hängte sie im Gang seines Büros auf: Bei Geschäftskunden in seiner Firma ist das mittlerweile die reinste Attraktion.
    Meine Mutter kann auch nie etwas wegwerfen, selbst Dinge nicht, die sonst kein Mensch verwahrt. Dazu muss ich aber etwas ausholen:
    Nachdem ich Mama immer öfter mit weißem Haaransatz angetroffen hatte und der, für sie untypisch, immer länger wurde, verriet sie mir endlich den Grund: Sie hatte kein Haarfärbemittel mehr. Das Produkt, das sie früher immer bei Rossmann kaufte, konnte sie nämlich nicht mehr holen, denn die Rossmann-Filiale in Mamas Nachbarschaft gab es nicht mehr. Andere Drogeriemärkte allerdings führten nicht das von Mama favorisierte Mittel.
    »Dann kauf doch ein anderes Färbemittel. Oder, noch besser: Geh einfach zum Friseur!«, sagte ich.
    Mama warf mir einen Kugelblitzblick zu: War ja klar, dass ich das Problem mal wieder nicht mal im Ansatz kapierte. »Und wer garantiert mir, dass ich auf andere Haarfärbemittel nicht allergisch reagiere?«
    Mama hat zeit ihres Lebens noch keine einzige allergische Reaktion auf Haarfärbemittel gezeigt, allerdings: In den letzten Jahren leidet sie unter Haarausfall.
    Es ist nicht so, dass sie eine Platte hätte, allerdings wächst das Haar an einer Stelle an ihrem Hinterkopf nicht länger als etwa zwei Zentimeter. Dort sieht das Haar aus wie abgeschnitten, nur, dass es nicht geschnitten wurde. Wobei Mama schon den wahnwitzigen Verdacht geäußert hat, jemand käme vielleicht regelmäßig nachts ins Haus, um ihr im Schlaf am Hinterkopf das Haar zu schneiden. Aber auf solche Geschichten lassen wir uns bei ihr gar nicht mehr ein.
    »Das ist aber keine Allergie. Das ist eine androgenetische Allopezie Typ Ludwig Grad II . Und das weißt du ganz genau«, sagte ich. Das bedeutet: altersbedingter Haarausfall bei Frauen. Ich war nämlich mal deswegen mit ihr beim Hautarzt.
    Trotzdem: Mama traut nicht Garnier, nicht L’Oréal, nicht Schwarzkopf und auch niemandem sonst, es soll unbedingt die bewährte Hausmarke von Rossmann sein. Also willigte ich ein, ein paar Packungen auf Vorrat in einer Filiale etwas weiter weg zu besorgen.
    »Weißt du noch die Farbnummer?«, fragte ich, da nickte Mama und zog mich ins Bad.
    Da standen sie, im großen Hängeschrank: dreizehn angebrochene Packungen von Mamas liebstem Haarfärbemittel, und in jedem Fläschchen war noch ein bisschen was drin.
    »Du willst mir aber jetzt nicht sagen, dass du die Farbpasten mehrfach verwendet hast?!«, fragte ich entsetzt, aber irgendwie kannte ich die Antwort bereits. Hatte sie. Und zwar verfuhr sie schon seit den Sechzigerjahren so. Ein Wunder eigentlich, dass sie erst jetzt Haarausfall bekommen hat.
    »Mir hat nie einer gesagt, dass man das nicht darf«, sagte Mama. Es steht nur in den Packungsbeilagen – ebenso wie der Hinweis, dass angebrochene Fläschchen mit Färbemittel nach Gebrauch sofort (!) entsorgt werden müssen, wegen Explosionsgefahr. »Hier, Mama, da steht’s: WEGWERFEN ! Sonst können die Fläschchen bersten! Mama, das Zeug geht noch mal hoch!«
    Also packte ich alle dreizehn angebrochenen Färbemittelfläschchen in eine große Tüte, um sie nach unten in den Müll zu tragen, aber das war Mama auch wieder nicht recht. Denn was, wenn jemand rauskriegt, dass die Fläschchen von ihr sind, und sich beschwert? Oder wenn sie nun nach all den Jahren im Schrank doch noch explodieren? Oder wenn dies, oder wenn das

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