Lipstick
…«, sagte ich noch, aber dann war ich schon aufgesprungen und rannte Richtung Toilette. Gott sei Dank schaffte ich es noch rechtzeitig. Ich spuckte das wunderbare Abendessen samt Nachtisch und Champagner ins Klo, was ich unglaublich bedauerte, und dann hörte ich Greta rufen.
»Katja!«
»Geh doch raus!« rief ich zurück. »Tu dir das nicht an.«
Ich spülte. Draußen vor der Kabine wartete Greta. Sie machte ein besorgtes Gesicht.
»Alles okay. Mir geht es blendend.«
»Dein neues Lebensjahrzehnt fängt ja gut an.«
»Ist bestimmt ein gutes Zeichen«, sagte ich nur und spülte den Mund aus.
»Und jetzt ab ins Bett.«
»Kommt nicht in Frage! Wir gehen auf die Party.«
»Katja, du bist krank!«
»Bin ich nicht. Vielleicht war das Tiramisu alt. Oder ich habe einfach nur zuviel gegessen.«
»Wie du meinst.«
Als wir zurückkamen, erkundigten sich Maurizio und Silvio besorgt, was denn passiert sei.
»Nur ein kleines Malheur«, sagte ich zur Abwechslung mal auf französisch. »Gehen wir?«
Draußen war es kalt und windig, aber die Luft tat mir gut, und nach ein paar Schritten fühlte ich mich wieder topfit. Der Fußweg dauerte etwa fünfzehn Minuten. Es lohne sich nicht, ein Vaporetto zu nehmen, meinte Maurizio. Greta hatte sich bei mir untergehakt, aber sie redete nicht mit mir, preßte sich nur eng an mich, und ich wußte, daß ich ihr gerade den größten Gefallen tat.
»Here we are«, sagte Maurizio schließlich. Wir standen vor einem dunklen Haus, dessen Eingangsbeleuchtung kaputtgegangen war. Aus dem obersten Stock drang laute Musik.
Wir stiefelten eine schmale Treppe nach oben – das Licht funktionierte auch hier nicht –, befanden uns dann vor einer nicht gerade einladend aussehenden Eisentür.
Maurizio klingelte, fast im selben Moment wurde die Tür aufgerissen, und ein grauhaariger Mann mit Vollbart baute sich meterlang vor uns auf. »Maurizio! Silvio!« Ein italienischer Wortschwall prasselte auf die beiden herab, schon stürzte eine elegant gekleidete Brünette auf die beiden Männer zu und umarmte sie theatralisch. Erst dann stellten Maurizio und Silvio uns vor, wir lächelten höflich, und ich konnte nicht umhin, mich für einen Moment wie das Flittchen vom Dienst zu fühlen.
Die Wohnung bestand aus zwei riesengroßen ineinander übergehenden Zimmern, die beide mit ausgefallenen Blumensträußen geschmückt waren. Im ersten Raum hingen einige Bilder an den Wänden – vermutlich hatte Maurizios Exfrau sie gemalt –, diemich an Francis Bacon erinnerten, im zweiten Raum wurde getanzt. Das Publikum war um die Fünfunddreißig, vielleicht auch Vierzig, elegant bis schrill gekleidet, benahm sich jedoch, als hätte es gerade eine Kleinkindgruppe aufgemacht. Kichernd und kreischend hopsten wildfremde Menschen um uns herum, sie faßten uns an, redeten auf uns ein, verschwanden wieder, und dann nahm Maurizio die Dinge in die Hand, indem er uns etwas zu trinken organisierte. Für mich schwarzen Tee, für Greta Wein.
Kaum hatte ich meinen glühendheißen Becher in der Hand, forderte Silvio mich zum Tanzen auf, Maurizio schnappte sich Greta. Na gut, vielleicht war es ja ein abgekartetes Spiel. Silvio hielt mich fest im Arm und tanzte wie ein Halbgott; aus dem Augenwinkel sah ich, wie Greta sich an Maurizio preßte. Silvio roch gut, er trug ein fast süßliches Parfum, das so gar nicht zu seinem steifen Äußeren passen wollte. Gott sei Dank turnt er dich überhaupt nicht an, dachte ich noch, bevor mir wieder etwas schwummerig wurde und ich ihm sagte, daß ich mich unbedingt setzen müsse. So gut die Stimmung auf der Party auch war, im Grunde meines Herzens sehnte ich mich nur noch nach meinem Bett. Ich gähnte, schaffte es nicht mehr rechtzeitig, die Hand vor den Mund zu nehmen.
»Tanto stanca?« fragte Silvio.
»Der anstrengende Flug«, entschuldigte ich mich. Es war bestimmt nicht besonders höflich, einen Mann, der so rührend um einen herumscharwenzelte, einfach anzugähnen.
Da bot Silvio sich an, mich nach Hause zu bringen – Greta würde ja sicher noch etwas bleiben wollen.
»Un momento«, sagte ich und nahm Greta kurz beiseite.
»Kommst du jetzt schon mit ins Hotel oder …«
»Oder … würde mir besser gefallen«, unterbrach Greta mich mit hitzigen Wangen. »Natürlich nur, wenn es dir auch nichts ausmacht …«
»Du solltest aber nicht mitten in der Nacht hier allein herumlaufen. Denk an die vielen Männchen in ihren roten Mäntelchen!«
»Keine Sorge. Entweder bringt mich
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