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Lipstick

Lipstick

Titel: Lipstick Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Fuelscher
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seinem Blick schob er ein kleines Fragezeichen hinterher. »Was meinst du?«
    »Es bleibt dabei: soixante-neuf.« Ich sagte das einfach so daher, mir war nicht klar, ob ich den Mut dazu aufbringen würde.
    »Du bist wahnsinnig!«
    »Ja. Vielleicht. Was bleibt uns denn, wenn nicht dieses bißchen Wahnsinn?«
    Dann schwiegen wir, jeder hing seinen Gedanken nach. Ich wußte nicht, ob ich es wollte oder besser nicht und ob dies vielleicht der Sinn des Lebens war. Was bleibt uns denn, wenn nicht dieses bißchen Wahnsinn … Ich hatte den Satz mal getextet. Noch nicht lange her. Jaky-Boy durfte es zu Jessy sagen, und danach waren sie sichin die Arme gefallen, hatten vermutlich rumgevögelt, daß sich die Balken bogen, aber das wurde der Daily-Soap-Gemeinde ja geflissentlich vorenthalten.
    Der Schaffner ließ sich erst nach einer geschlagenen Stunde blikken. Wir hatten bereits die gelben Muff-Vorhänge zugezogen und waren zum Fingernagelknabbern übergegangen.
    »Schlafen Sie gut«, nuschelte er und grinste, während er uns die Fahrkarten zurückgab. Goldzahn links oben, wie süß.
    »Der hat das nicht ironisch gemeint«, sagte Jan.
    »Natürlich hat er das ironisch gemeint«, gab ich zurück. »Und gleich kommt er nachgucken, ob wir auch schön heia machen.«
    »Soll er doch. Ist nicht unser Problem, wenn er bei seiner Frau keinen mehr hochkriegt.«
    Ich kicherte, zog die häßlichen Plastiksitze, auf die man besser nicht seinen nackten Hintern plazierte, aus, so daß sich uns ein wunderbar einladendes Plastikbett bot.
    »Darf ich bitten?«
    »Sie dürfen, mein Herr.«
    Jan steckte einfach den Kopf unter mein neu erstandenes Kleid, und das war der Anfang einer ganzen Palette, durch die wir uns bis Hamburg in aller Vollständigkeit und Präzision arbeiteten.
    Als wir gegen sieben Uhr morgens über die Elbbrücken in ein noch dunstiges Hamburg einliefen, war ich ziemlich übernächtigt, alle Knochen taten mir weh, und selbst wenn ich vermutlich nicht sehr angenehm nach wildem Sex roch, so fühlte ich mich doch, als hätte ich auf einer Glückskala mit 1001 Punkten gerade 1000 verbraucht. Einfach in einem einzigen Rausch in den Wind geschossen!
    Was fing ich bloß mit dem einen Punkt an, der mir nun für den Rest des Lebens blieb? Ich konnte ihn halbieren, vierteln oder in tausend Stückchen zerhacken, aber es blieb eben nur ein einziger Glückspunkt, und das war mir nach der letzten Nacht eindeutig zu wenig.
    Ich würde wieder in meine vier Wände abtauchen und Jan in seine. Er würde mit Timmi Bauklötzchen spielen, Babygläschenaufwärmen, Töpfe abwaschen und Pampers einkaufen gehen, er würde sich mit Katharina blendend verstehen, Freunde einladen, pompös kochen, sich endlich einen neuen CD-Player anschaffen, draußen würde es schließlich mehr oder weniger schleichend Winter werden, und vielleicht würde es auch mal einen Moment in seinem Leben geben, in dem er an die Plastiksitze im Zug zurückdachte.
    Sie waren natürlich doch mit unseren nackten Hinterteilen in Berührung gekommen, sie hatten die Wärme unserer Haut gespürt, das weiche, durchgewalkte Fleisch, unser beider Gewicht und den Rhythmus unserer Bewegungen. Und irgendwie hatte ich dabei auch meinen Lieblingslippenstift verloren. Den korallenroten. Ich würde mich jedenfalls oft daran erinnern. Beim Frühstück mit Tom, wenn ich auf dem Klo saß, bei der Arbeit – es gab sie immerzu, die paar verrückten Stunden mit Jan. In einigen Wochen fuhr er nach Italien. Florenz, vielleicht auch noch Rom. »Komm doch mit«, hatte er vorgeschlagen, aber ich wußte nicht, ob ich es wollte. Immer so weitermachen? Mit Jan von Stadt zu Stadt gondeln und zu Hause wie ein kaputter Kühlschrank nur auf halben Touren laufen?
    Eine miese und zugleich faszinierende Vorstellung. Keine Eintönigkeit mehr an Heim und Herd, immer würde es den bahnbrechenden Superlover Jan geben, der wie der Teufel durch die Welt jettete, frisch nach japanischem Miyake duftete, mir sexuell zu Diensten war, wenn ich es wollte, lächelnd meine Hand hielt und mir immer neue, selten abgedroschene Komplimente machte.
    Ich sah mich schon mit fünfundsiebzig: Eine dynamische Jung-Oma, die ihren Luxuskörper zwecks erotischer Abenteuer in jeden Flieger schwang, mit großem Appetit die Bordmahlzeit aß, noch eine Stange Malboro erstand, bevor sie gut gelaunt dem Flugzeug entstieg, um sich ihrem ebenso dynamischen, aber mittlerweile eisgrauen und spargeldünnen Lover in die Arme zu werfen. Was für eine

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