Lipstick
schloß mich in seine Arme, als hätten wir uns ein halbes Jahr lang nicht mehr gesehen.
»Willkommen zu Hause«, sagte er, und ich wußte, daß dieses Zuhause gerade mal eine Nacht existieren würde.
»Also fährst du mit mir zurück«, bestimmte Jan. »Und jetzt gehen wir essen. Feiern.«
»Ja.« Ich war mittlerweile viel zu betrunken, um überhaupt zu kapieren, was hier vor sich ging. Ich hing einfach in Jans Armen, und dann fing ich plötzlich an zu weinen. Es war ein richtiger Heulanfall, der erst nach einer guten halben Stunde verebbte, und danach sah ich derart verquollen aus, daß ich meinen Anblick eigentlich niemandem mehr zumuten wollte.
»Komm! Raff dich auf! Du siehst ganz süß aus mit deiner roten Nase.« Jan küßte sie, und ich gab mich geschlagen.
Wir wählten eine x-beliebige Trattoria in der Altstadt.
»Ich will Nudeln«, sagte ich. »Nudeln machen glücklich.«
»Und als Vorspeise?«
»Auch Nudeln.«
»Okay. Zweimal Nudeln für dich.«
Als ich eine Portion hausgemachte Ravioli mit Scampi und Morcheln verdrückt hatte und auf meine Lasagne mit Ricottafüllung wartete, klärte sich mein Kopf langsam auf. Wir tranken Unmengen von Mineralwasser – ziemlich ungewohnt –, aber wir standen beide nicht darauf, uns sinnlos zu besaufen.
Jetzt gingen wir also einmal zusammen in Italien essen, und plötzlich fehlten uns die Worte. Jan saß mir blaß und schmal gegenüber, erzählte schließlich stockend von einem neuen Kunden in Florenz.
Als der zweite Gang kam, waren wir beide fast erleichtert, uns ausschließlich dem Essen widmen zu können. Jan sah verzückt auf seinen Teller: ein Bistecca alla fiorentina, riesig und blutig, bei dem mir schon vom reinen Hinsehen übel wurde, dazu vertilgte er weiße Bohnen.
»Fleisch ist gesund«, sagte er entschuldigend.
»Ich weiß«, sagte ich und mußte grinsen.
»Besonders dein Fleisch!« Jan fing an zu säbeln, so daß ich es vorzog, mich meinem eigenen Teller zu widmen. Eigentlich war ich schon satt, außerdem kam ich mir bei dem Gedanken an Hans, der jetzt wutschnaubend über den Brenner oder den Splügenpaß fuhr, doch ziemlich schäbig vor.
»So ein Steak ist für zwei gedacht«, sagte ich mit plötzlich aggressivem Unterton.
Jan sah hoch, hielt Messer und Gabel wie Dirigentenstäbe in die Luft.
»Bist du sauer?«
»Nein. Quatsch.« Natürlich war ich nicht sauer. Eher traurig, weil mein Leben so verkorkst war und weil ich auch noch das meiner Mitmenschen verkorkste.
»Hans hat allen Grund, wütend auf mich zu sein«, sagte Jan kauend.
»Hat er nicht.« Ich ließ meine Gabel sinken und schaute zum Nebentisch rüber, wo ein biederes Pärchen in aller Eintracht saß und sich über zwei Flaschen Cola hinweg anlächelte. »Ich hab ihm nie was versprochen.«
»Ich dir auch nicht.« Jan lächelte kühl.
»Und ich dir auch nicht.« Ich pfefferte meine Serviette auf den Teller, war plötzlich wieder hundertprozentig nüchtern. Warum hatte Jan das nur gesagt? Befriedigte es ihn etwa, mich in wohldosierten Häppchen zu verletzen?
»Sorry«, drang Jans Stimme augenblicklich und wie von fern an mein Ohr. »Es war nicht so gemeint.«
»Laß uns gleich gehen«, sagte ich. Ich konnte es nicht länger eftragen, Jan an diesem blutigen Etwas herumsäbeln zu sehen.
In dieser Nacht liebten wir uns lange und heftig. Man hätte meinen können, wir wären noch in Lissabon.
Kein Wort über die Szene im Restaurant, keine Tränen. Mir war auch überhaupt nicht nach Weinen zumute. Eher wollte ich alles kurz- und kleinschlagen, weil unser sowieso nur knapp bemessenes Glück schon fast wieder zu Ende war. Ich dachte an zu Hause. An Schäferstündchen am Computer. An Greta und ein Mäxchen, das immer unwiderstehlicher wurde.
Beim Frühstück bei »Nannini« starrte Jan mich plötzlich frostig an. Ein Schwarm Japaner zog draußen am Fenster vorbei.
»Hab ich etwa einen Pickel im Gesicht?« fragte ich gereizt.
Jan schwieg und drehte unschlüssig seine Espressotasse in den Händen, bevor er das Gebräu in einem einzigen Zug austrank.
»Es ist vielleicht nicht der richtige Moment«, begann er, während seine Augenlider unkontrolliert zuckten. »Jetzt mußt du sagen: Den richtigen Moment gibt es nicht.«
»Okay«, sagte ich. »Den richtigen Moment gibt es nicht.«
»Und gerade deshalb will ich dir was vorschlagen: Wie würdest du es finden, wenn …« Seine Lider flatterten nun richtig, dannsprach er leise weiter: »Für dich würde ich es tun … Meine Familie
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