Lipstick
am Fenster stehen. Küßchen links, Küßchen rechts, dann brauste Jan schon davon.
Wir hatten nichts ausgemacht. Manche Männer schienen es zu lieben, sich auf diese Weise zu verabschieden.
Greta rannte hektisch in der Küche herum und räumte den Kühlschrank aus.
»Ich habe keinen Hunger«, sagte ich und sehnte mich ganz schrecklich nach meinem Bett.
Ein riesiger Poststapel lag auf dem Küchentisch und drohte mir, mindestens einen Horrorbrief parat zu haben. Ich war mir sicher, daß der Schäfer nicht davor zurückschreckte, einen auch dann zu behelligen, wenn man gerade erschöpft aus einem nervenaufreibenden Urlaub kam.
»Mozzarella mit Tomaten?«
Ich nickte schwach.
»He, Mäxchen läuft ja!« Gerade purzelte mir ein grinsendes und warmes Dingsbums gegen die Knie.
Greta lachte stolz, und ich knuddelte Mäxchen ab, als habe er die erste Medaille seines Lebens gewonnen. Wenn ich ehrlich war, machten mich Mäxchens Fortschritte glücklicher als alles, was ich in den letzten Tagen erlebt hatte.
»Tom hat paarmal angerufen«, sagte Greta. »Und Hans war heute morgen auf dem Band. Hast den armen Knaben in die Midlifecrisis gestürzt.«
»Ich will von Männern nichts mehr hören«, ließ ich ziemlich unwirsch verlauten, fragte sie aber im gleichen Atemzug nach Micha.
»Der hängt sich täglich an die Strippe. Ist schwer am Baggern.«
»Und? Was sagt dein Gefühlszustand?«
»Heiter bis wolkig.«
»Aussicht auf Sonne?«
»Wer weiß?«
»Wehe, du verläßt mich!«
»Keine Angst. Ich hab mich zweimal mit ihm getroffen. Aber ich glaube, im Moment ist es einfach das beste so.«
Das hoffte ich auch. Es würde mir wirklich schwerfallen, auf mein neugewonnenes Familienglück zu verzichten.
Während Greta mit der für sie typischen Akribie den Mozzarella zerschnitt, ging ich meine Post durch. Rechnungen über Rechnungen, eine Postkarte von einer ehemaligen Klassenkameradin, der Schäfer verschonte mich noch … Witthusen.
Liebe Katja, ist dir etwas zugestoßen? In freudiger Erwartung, Ralf Witthusen.
Das war ja fast schon ein Liebesbrief und dann noch in der plumpen Du-Form! Siedendheiß fiel es mir ein: Ich hatte nach den drei Tagen Bedenkzeit einfach verschwitzt, ihn anzurufen.
Bevor ich mich zum Essen niederließ, schaute ich ins Telefonbuch und wählte kurz darauf seine Privatnummer.
»Hallo, hier ist Katja. Ralf, es tut mir leid …«
Weiter kam ich nicht, weil Ralf sofort anfing, mich zu bedrängen.
Ob ich nicht bei ihm einsteigen könne, jetzt und augenblicklich, es hätten sich einige Engpässe ergeben. Klar, sagte ich cool, schließlich war ich ja kein unhöflicher Mensch und wußte zudem die rapide Verbesserung meines Marktwertes durchaus zu schätzen.
So kam es, daß ich bereits zwei Tage später wieder an der Wittgenstein-Saga schrieb, und ich durfte zu meinem Erstaunen feststellen, daß Berghusens Tochter Winnie mittlerweile in einer Chaos-WG lebte, wo sie sinnlos herumkokste, und statt den adeligen Wittgenstein-Sprößling zu ehelichen, hatte sie mit ihrem Halbbruder gebumst und eine dubiose Modelkarriere in schmuddeligen Hinterzimmern angefangen. Die Eltern beider Parteien waren dem Alkoholismus beziehungsweise Putzzwang verfallen, und Winnie nannte ihre Mutter – falls sie überhaupt noch zu Hause auftauchte – nicht mehr Mama und Mutter, sondern nur noch Désirée, vornehm französisch prononciert.
Ich war von den Ent- und Verwicklungen wieder mal schlichtweg begeistert, und meine zu schreibende Folge ließ mich derart jubilieren, daß ich am Ende des Arbeitstages fast heiser war. Ich hatte Winnie zwecks Flirterei in einen halbseidenen Schuppen geschickt, ich hatte sie sich mit ihrem eifersüchtigen Halbbruder streiten lassen (worauf ein erneuter Beischlaf im Unterhemd folgte), und – was das Tollste war – ich hatte Wittgenstein-Mami und Berghusen-Papi ein Auge aufeinander werfen lassen. Mensch, das würde in den nächsten Folgen vielleicht was geben!
Innerlich total befriedigt gönnte ich mir abends ein Glas Wein mit Greta. Mäxchen war schon im Bett, und draußen prasselte ein wunderbar herbstlicher Regen gegen das Fenster.
»Greta, ich kann dir nur eins raten: Fang mit dem Serienschreiben an.« Ich war von der vielen Arbeit leicht geschwächt und konnte aus diesem Grund nicht besonders deutlich artikulieren. »Was du an einem Tag am Schreibtisch erlebst, geht auf keine Kuhhaut.«
»Was ich mit Mäxchen an einem Tag erlebe, geht auch auf keine Kuhhaut!« Greta grinste.
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